«Mein Theologiestudium war exklusiv für Möhlin»

  26.12.2019 Möhlin, Persönlich

Etwas über 100 Tage ist Kai Hinz nun Pfarrer der Reformierten Kirchgemeinde Möhlin. Grund genug, um den 57-jährigen Quereinsteiger, der ursprünglich in der Wirtschaft tätig war, ein Edgar-Wallace-Archiv besitzt und früher auch Kunstturner war, einmal genauer vorzustellen.

Birke Luu

«Kai Hinz – Pfarrer» steht ganz schnörkellos auf seiner frisch gedruckten Visitenkarte. Hinter dieser schlichten Information verbirgt sich ein ganzes Leben voller aussergewöhnlicher Erfahrungen und grosser Veränderungen. Denn Kai Hinz war nicht immer Pfarrer von Beruf.

Rund dreissig Jahre lang arbeitete er nach seinem Wirtschaftsstudium im Controlling, Marketing und Personalbereich verschiedener, zumeist international tätiger, Firmen. So kam er viel herum – Asien, Australien, Südamerika, aber auch immer wieder London, die Niederlande und schliesslich die Schweiz.

Er war gerade Synodaler seiner Kirchgemeinde in Diessenhofen/TG, als er mit über fünfzig Jahren seinen Job verlor. In dieser Zeit der Neuausrichtung erfuhr er vom akuten Pfarrermangel. Er horchte auf, überlegte und bewarb sich für QUEST, das Theologiestudium für Quereinsteiger. «Ich hatte ganz verdrängt, dass ich schon als junger Mann erwogen hatte, Theologie zu studieren – nach 35 Jahren holte mich dieses Thema plötzlich wieder ein.»

Eine harte Zeit begann. Er vergrub sich ins anspruchsvolle Studium. Hebräisch wurde zu seiner grössten Herausforderung, die er erst im letzten Anlauf bestand. Innerhalb von nur drei Jahren beendete er «im Eiltempo» sein Studium in Basel und Zürich. «Ich wollte schnell fertig werden, schliesslich ist es nicht mehr lange bis zu meiner Pensionierung», lacht der Pfarranfänger.

Exklusiv für Möhlin
Seine erste – und altersbedingt wohl zugleich auch letzte – Pfarrstelle fand er in Möhlin und meint dazu: «Ich habe gleich gespürt, dass dies die Gemeinde ist, die auf mich gewartet hat!» Bei seiner Bewerbung plante die Reformierte Kirchgemeinde Möhlin gerade den Neubeginn mit einer neuen Kirchenpflege. «Es hat mich sehr angesprochen, diesen Aufbau mittragen zu dürfen». Seit September ist er nun im Amt und fühlt sich angekommen. «Ich war jahrzehntelang wie auf der Suche. Hier kann ich nun alle meine Fähigkeiten und Kenntnisse einsetzen, was mich mit grosser Zufriedenheit erfüllt». An Lebens- und Berufserfahrung bringe er dabei ein umfangreiches Paket mit, habe vieles am eigenen Leib erfahren und könne so die Sorgen und Nöte anderer Menschen besser nachvollziehen. Ihm sei es als Pfarrer wichtig, die Menschen auf ihrem Lebensweg zu begleiten und ihnen zu vermitteln, dass der Glaube an Jesus Christus eine grosse Hilfe im Leben sein kann.

Mit seiner humorvollen Art agiert er immer wieder unkonventionell, überrascht. «Ich bringe in Predigten gerne Einschübe, die zum Schmunzeln veranlassen, denn das muss im Glauben Platz haben. Gott hat sicher auch Sinn für Humor, sonst hätte er ihn uns nicht geschenkt», argumentiert der Vollblutpfarrer, dessen Büro eine ganze Wand mit Büchern beherbergt, darunter auch eine Sektion mit humoristischen Werken.

Spagat zwischen Bibel und Krimi
So vielfältig der Pfarrberuf, so unterschiedlich die Themen der Bücher: «Praxishilfe Trauungen», «Gott», «Der vergnügte Theologe», «111 Dinge, die ein evangelischer Pfarrer nicht sagt», «Predigtstudien», «Milieusensible Kirche», «Biblify», um nur einige zu nennen. Kai Hinz besitzt ganz offensichtlich ein Faible für gute Bücher und ist seit frühester Jugend leidenschaftlicher Edgar-Wallace-Fan. Über die Jahre wurde seine Edgar-Wallace-Sammlung derart gross, dass im Jahr 2000 das Zweite Deutsche Fernsehen an ihn herantrat, um sein Archiv zu sichten und ihn schliesslich sogar als Protagonisten in eine Dokumentation einbaute. Aber das ist noch nicht alles; als 18-Jähriger lernte er die Tochter des Schriftstellers kennen und blieb mit ihr bis zu ihrem Tode freundschaftlich verbunden.

Die Ehefrau des Neupfarrers ist Künstlerin. «Unsere unterschiedlichen Ausrichtungen sorgen für einen fruchtbaren Gedankenaustausch und geben mir viele praktische Anregungen. Gedanklich scheint der Spagat zwischen religiösem und weltlichem Leben zu gelingen. Und physisch? Nach vierzig Jahren Kunstturnen mache er altersbedingt zwar keine Salti mehr, aber Spagat, das könne er auch heute noch, räumt der ehemalige Bodenturner lachend ein. Wer weiss bei welchem kirchlichen Anlass er dies irgendwann gebrauchen kann?

Erste Weihnacht
Jetzt steht aber erst einmal Weihnachten vor der Tür. Pfarrer Hinz ist dieses Jahr für alle Gottesdienste rund um die Feiertage zuständig. Viel Arbeit also? «Auf die Gottesdienste freue ich mich wirklich sehr, denn sie sind für mich nicht Arbeit, sondern Geschenk!» Allerdings muss er augenzwinkernd zugeben, dass ihn Dinge wie das Weihnachtskartenschreiben sehr stressen würden.

Doch jetzt wieder im Ernst: Die Zeit vor Heiligabend vergehe ihm einfach zu schnell, schliesslich gebe es neben all den Festvorbereitungen auch noch den normalen Pfarralltag mit Bestattungen oder Seelsorgeterminen. Eine angenehme Einstimmung auf Weihnachten sei da neulich die Seniorenweihnachtsfeier gewesen, mit toller Gemeinschaft, gutem Essen, stimmungsvollen Liedern und schönen Geschichten.

Heute nun ist die Adventszeit vorbei und der Heilige Abend ist da. Einsatz für Pfarrer Hinz, denn er wird seine ersten beiden Weihnachtsgottesdienste heute Abend in Möhlin abhalten. Dabei liegt ihm besonders am Herzen, den Menschen das Evangelium in einfachen und verständlichen Worten näherzubringen. Ob dies gelingt, kann heute jeder selbst entscheiden. Auf jeden Fall aber möchte Kai Hinz allen Fricktalern Folgendes mit auf den Weg geben:

«An Weihnachten sprach der Engel des Herrn zu den Hirten auf dem Felde: Euch ist heute der Heiland geboren! Dies ist bereits ein Ausblick darauf, dass das Kindlein in der Krippe uns Menschen retten wird. Wir sollten uns daher unsere Weihnachtsfreude im Herzen bewahren, ins nächste Jahr tragen, ja sogar bis Ostern mitnehmen».


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