Kathrin Kunz, ohne Titel

  30.11.2019 Möhlin, Persönlich

Von der Freiheit, sie zu leben

Die bildende Kunst ist ein hartes Brot und ihre Schöpfer backen bisweilen kleine Brötchen. Mittendrin: Kathrin Kunz, Möhlin, die Ausgezeichnete.

Ronny Wittenwiler

Sie lernt gerade das Klettern und vielleicht ist ihr dieses Hobby geradezu Metapher im Leben. Kathrin Kunz bewegt sich im Spannungsfeld zwischen diesem Gefühl von Freiheit und der Ungewissheit vor dem nächsten Tritt. Kunz ist, nicht bloss beim Klettern, oft ohne Seil unterwegs.

Kunz macht Kunst
Die NFZ trifft Kathrin Kunz in ihrem Atelier. Wenige Tage erst sind vergangen, als ihr dieser Brief ins Haus flatterte, 30 000 Franken war er wert und für sie persönlich vor allem war er unbezahlbar. Kathrin Kunz, verheiratet, ohne Kinder und Tochter eines Vaters, der dem kulturellen Möhlin viel gegeben hatte, sie wurde vom Aargauer Kuratorium mit einem Werkbeitrag in Höhe von 30 000 Franken bedacht. Da war sie also, die Bestätigung für den gegangenen Weg ihres künstlerischen Schaffens, einen Weg, das räumt die heute Fünfzigjährige ein, der oftmals steil und steinig gewesen ist, denn Kunz, das wird im Verlauf des Gesprächs rasch einmal klar, sie hat eigentlich schon viel früher klettern gelernt; in gewissen Jahren nach dem Studium hangelt sie sich ein bisschen von einem Broterwerb zum anderen, weil Kunst sie zwar meistens glücklich macht, nicht aber reich. Kunz lebt für die Kunst, nicht immer reicht die Kunst allein zum Leben.

Und jetzt ein Meilenstein
Noch bis 5. Januar bleiben die vier von Kathrin Kunz eingereichten Werke im Aargauer Kunsthaus ausgestellt. Den Betrachter erwarten keine grossen Bilder, 30 Zentimeter auf 26 Zentimeter klein sind sie und grossartig genug, um von der Jury mit dem Werkbeitrag gekürt zu werden. In ihrem Atelier im Bata-Park, dort auf dem Tisch, liegt die Broschüre mit dem Werkbeschrieb der preisgekrönten Arbeiten, darin wird dem Konsumenten schwere Kost zugemutet: «Eine beinahe meditative Konzentration strahlen die vier mit Pastellkreide bemalten Blätter von Kathrin Kunz aus. Die Abfolge weckt Assoziationen zur Kombinatorik und lehnt kunsthistorisch sowohl an der Konzeptkunst als auch am Konstruktivismus an.» Kathrin Kunz aber, das liest sich vielleicht überraschend, malt sich die Welt ihrer eigenen Schaffenskraft mit deutlich einfacheren Worten: «Ich baue keine grossen Theorien um meine Werke. Heutzutage muss alles begründet sein. Du kannst keinen Strich mehr machen, ohne dass du über drei Seiten begründest, wie es dazu gekommen ist. Mir persönlich ist das nie wichtig gewesen. Meine Bilder soll jeder anschauen dürfen, nicht nur ein elitäres Publikum. Einfach anschauen, offen wie ein Kind, und sagen, was man denkt, ohne Hemmung. Das ist doch schön.» Unaufgeregt sagt sie das, leise im Ton, als wäre es ein letzter Beweis dafür, dass sie eben längst aufgehört hat, die Inhalte ihrer abstrakten Kunst um jeden Preis verteidigen zu wollen. «Es geht hier nicht um Können, es geht nicht allein darum, was gefällt. Es geht doch darum, ob Kunst grundsätzlich eine Emotion auslöst beim Betrachter.» Keines ihrer vier Werke trägt einen Titel.

Lebenslagen
Dabei hätte alles auch anders kommen können. «Künstlerin zu werden, war nicht mein erster Wunsch», sagt Kathrin Kunz, und sie schiebt dann nach: «Doch lassen wir das.» Genauso wenig, wie sie glaubt, nicht auf alles eine Antwort bereithalten zu müssen, genauso konsequent nimmt sie sich das Recht auf Aussparung. «Mich hätte ursprünglich eine Arbeit im medizinischen Bereich interessiert. Doch persönliche Gründe führten dazu, dass es nicht soweit gekommen ist.» Also schlug sie für ihr eigenes Leben eine andere Routenwahl an. Hochschule für Gestaltung und Kunst. «Mit 27 erst war meine Studienzeit zu Ende und ich stand am Anfang einer brotlosen Tätigkeit.» So abstrakt ihre Werke, so konkret ist in diesem Fall ihr Humor. Immer wieder, wenn das Geld reicht, tauscht sie das Konventionelle gegen das Unkonventionelle, tauscht den Brotjob gegen die Freiheiten, den Tag und die Kunst nach ihren Vorstellungen zu leben. Dazu gehören Werkaufenthalte in Paris, aber auch die bewusste Einschränkung. Eine materiell Getriebene sei sie nie gewesen, sagt Kathrin Kunz, noch heute reicht ihr ein Velo und kein Auto fürs Vorwärtskommen und wenn wir schon bei der Bewegung sind, so erlauben ihr die 30 000 Franken, ihr künstlerisches Schaffen mit einer gewissen Absicherung fortzusetzen. Sagt eine Frau, die gerade das Klettern lernt.

PS: Ihr Vater war der Bezirksschullehrer Heini Kunz, der im Jahr 1958 das legendäre Lehrertheater Möhlin begründete.


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