«Ich setze auf Technik statt Muskelkraft»

  16.10.2019 Persönlich, Zuzgen

Boris Burkhardt

Mit 45 Jahren hatte Anita Labhardt Lust auf Neues und begann, Steine zu werfen. Das ist nun fünf Jahre her; und mittlerweile ist die fröhliche Zuzgerin, Mutter zweier erwachsener Kinder, schon Schweizer Meisterin geworden – genaugenommen nicht im Steinewerfen, versteht sich, diese Technik ist gar nicht erlaubt, sondern im Steinstossen, einer speziell schweizerischen Sportart. Und Technik ist Labhardt wichtig, denn sie sei mit 1,60 Meter weder besonders gross, wie sie mehrfach in sympathischer Selbstironie betont, noch ein «Muskelprotz». Im Steinstossen, erklärt sie, stünden beide Wege offen: Entweder man stosse den Stein mit Kraft oder eben mit der richtigen Technik.

Stundenlang im Wasser
Sport hat Labhardt, geborene Hausmann, schon als Jugendliche geprägt: Bis zum 17. Lebensjahr schwamm die gebürtige Glarnerin in der SLRG Näfels in der Elite und war täglich zwei bis vier Stunden im Wasser: «Ich lebte nur zwischen Schule und Schwimmen. Das war meine zweite Familie.» Doch als sie es an ihrer ersten Schweizermeisterschaft nicht unter die ersten zehn schaffte, entschied sie, die Schwimmkarriere nicht weiterzuverfolgen und stattdessen eine Lehre zu beginnen. Doch ohne Sport wäre es nicht weitergegangen, nicht nur, weil sie das Bedürfnis danach hatte – zunächst war es auch ein physiologisches Problem: «Für das Herz ist es ein Problem, mit dem Leistungssport abrupt aufzuhören.» Ihre Therapie zur schrittweisen Sportentwöhnung hiess neben Leichtathletik und Skifahren zunächst Judo, vier Stunden in der Woche, was sie auch fortsetzte, als sie nach Basel zu ihrer Schwester zog und dort als Textilverkäuferin im – natürlich – Sportladen anfing. Später absolvierte sie eine Bürolehre bei einer Basler Versicherung und heiratete 1995 Rico Labhardt; 1996 und 1997 kamen die Kinder Mike und Jenny zur Welt. 2002 zog die Familie nach Zuzgen; 2006 eröffnete Labhardt ihr eigenes Geschäft für Nageldesign und Coiffeurstudio «X-Beauty» in Möhlin.

Vermutlich war es Zufall, dass Familie Labhardt in Zuzgen einen Bauplatz so nahe beim Sportplatz neben Schule und Gemeindeverwaltung bekam. Jedenfalls war Labhardt bald wieder im dortigen Turnverein sportlich aktiv, als Turnerin und Leiterin des Kinder- und Jugendturnens. 2015 wurde sie schliesslich gefragt, ob sie ins Dreier-Frauenteam des Vereins für die Aargauer Meisterschaften im Steinstossen einsteigen wolle. «Ich merkte schnell, dass ich gut darin bin und es mir Spass macht», sagt Labhardt: Noch heute stösst sie im Team gemeinsam mit Yolanda Sacher und der Schweizermeisterin Corina Obrist.

Sportbegeisterte Familie
«Steinstossen ähnelt vom Bewegungsablauf sehr dem Speerwerfen», erklärt Labhardt ihre Technik. Bei beiden Sportarten spiele der Dreischritt eine wichtige Rolle; der Anlauf müsse auf den Stoss übergehen, der Rumpf dabei stabil bleiben: «Die Kraft muss hinter den Stein kommen.» Die richtige Drehung des Körpers erzeuge dabei die nötige Schnellkraft. Denn wie gesagt: Der Stein darf nicht geworfen, sondern von der Schulter weggestossen werden. Aber Labhardt betont noch einmal, wie individuell die Stosstechnik sei: «Das sieht man an den Schweizer Meisterschaften.» Einen grossen Anteil an ihrem Erfolg als Steinstösserin rechnet Labhardt ihrem Fitnesstrainer Daniel Schneider in Möhlin an, wo sie viermal wöchentlich trainiert: «Er hat mich sukzessive darauf vorbereitet.» Mit 50 Jahren, das spüre sie trotz ihres Elans, müsse sie deutlich mehr trainieren, um die frühere Fitness zu erhalten. Im Studio trainiert sie vor allem die Beine, Oberarme und den unteren Rücken.

2017 wurde Labhardt in Interlaken Schweizer Meisterin in der Kategorie Senioren mit vier Kilo Steingewicht. Auch mit dem Dreierteam des TV Zuzgen holte sie bereits den Titel. Begleitet wird die Steinstösserin fast immer von ihrem Ehemann, der sich als «begeisterter Fan» bezeichnet. Rico Labhardt selbst spielt Fussball, Volleyball und Tennis und fährt Ski – «das muss er auch mit mir als Frau», findet Anita Labhardt und lacht. Auch ihre Kinder seien «megastolz» auf die Erfolge der Mutter. Sie sind ebenfalls beide im TV Zuzgen aktiv; Tochter Jenny reitet ausserdem noch. «Ich habe eine super Familie», bedankt sich Labhardt bei Mann und Kindern für die Unterstützung.

Singen als zweite Leidenschaft
Nicht nur der Sport, auch die Musik hat es Labhardt angetan: Seit zwölf Jahren singt sie mit neun anderen Frauen im Malaika-Frauenchor Fricktal in verschiedenen Sprachen, sogar auf Suaheli, wo Malaika «Engel» bedeutet. Das Ensemble singt an Geburtstagen, Hochzeiten und Taufen; der nächste öffentliche Auftritt ist an der Langen Nacht der Musik in Kaiseraugst im Juni 2020 geplant.

Ausserdem wird Labhardt ab dem 31. Dezember in zehn Vorstellungen im Musical des TV Zuzgen singen, das der Verein alle zwei Jahre produziert, 2019/20 «Zum Sterben schön«: «Das ist wirklich cool. Das mache ich sehr, sehr gerne.»

Wie lange sie als Steinstösserin noch weitermachen wolle, entscheide sie «Jahr für Jahr», sagt Labhardt. Ihren jüngsten Wettkampf im Steinstossen focht sie im September bei den Schweizer Meisterschaften in Wenslingen aus und landete dort mit 9,86 Meter auf dem dritten Platz. Wie damals beim Schwimmen habe sie sich als Richtlinie genommen: «Solange ich es noch aufs Treppchen schaffe, mache ich weiter.»


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