121 Personen wurden innert Minuten obdachlos

  25.08.2019 Mettauertal

Der 21. August 1869 ging als schwärzester Tag in die Annalen der Gemeinde Etzgen ein. Ein sechsjähriger Knabe zündete an jenem Samstag das Strohdach seines elterlichen Hauses an und löste damit einen Grossbrand aus.

Bernadette Zaniolo

«Der 21. August 1869 war der schwärzeste Tag in unserer Dorfgeschichte», hielt Heinrich Zumsteg in einem Manuskript für eine Rede fest. Wie der Etzger Alt-Gemeindeammann Heinz Zumsteg gegenüber der NFZ sagte, wirkte der verstorbene Heinrich Zumsteg während über 50 Jahren (von 1930 bis 1982) als Gemeindeschreiber in Etzgen; wie damals in vielen Gemeinden üblich, im Nebenamt.

Die grosse Feuerbrunst in Etzgen wurde von einem sechsjährigen Knaben ausgelöst. Er kam in den Besitz von Streichhölzern und zündete damit das Strohdach seines elterlichen Hauses an. «Das Feuer griff rasch um sich und bald stand fast das ganze Dorf in Flammen», so die Worte von Heinrich Zumsteg. Das war am Samstag, 21. August 1869, abends um halb sechs Uhr. «Innert kurzer Zeit waren 13 Wohnhäuser samt Scheunen bis auf den Grund abgebrannt», so die Schilderung. Zum Löschen fehlten Wasser und anfänglich auch Personen, denn die meisten Leute waren noch auf dem Feld.

Die Lebensretter
23 Familien mit 121 Personen wurden obdachlos. Sie konnten in den wenigen verschont gebliebenen Häusern nur notdürftig untergebracht werden. Glücklicherweise waren keine Menschenopfer zu beklagen. Doch zwei Frauen kamen beim Retten von Hausgeräten in grösste Not. Sie wurden jedoch von drei auswärtigen Männern, die sich selber in Lebensgefahr begaben, aus dem Feuer gerettet. Am 23. September 1869 beschloss der Regierungsrat des Kantons Aargau, den drei Lebensrettern (J. Schneider von Hauenstein, Joh. Nep. Herzog, Schneider von Laufenburg und Kaminfeger Meng von Laufenburg) für ihre Tat eine «Lebensrettungsprämie» von total 60 Franken zukommen zu lassen.

Die Regierung beschloss auch, dem 1845 geborenen Johann Babtist Zumsteg eine Gratifikation von 40 Franken zu überreichen. Der damals 24-Jährige fand nämlich – als er an jenem Samstag vom Feld heimkehrte – auch sein Haus in Vollbrand. «Er stürzte sich hinein und ergriff zuerst sein Gewehr und seinen Tornister», heisst es im Dokument. Als Johann Babtist Zumsteg durch das Fenster flüchtete, blieb der Tornister hängen und hinter ihm stürzte das Haus zusammen. Von der ganzen beweglichen und unversicherten Habe hatte er nur sein Gewehr gerettet. Die Offiziere der 1. Jägerkompagnie, in welche Zumsteg eingeteilt war, meldeten diesen Vorfall dem Regierungsrat «und fanden, es dürfte dem braven Soldaten Zumsteg, welcher seine Waffe in höchster Lebensgefahr vor all seinem übrigen Besitztume den Flammen entriss, ein Zeichen öffentlicher Anerkennung zu Teil werden». Dafür erhielt er die erwähnten 40 Franken «Gratifikation».

Ernte vollständig vernichtet
Die Brandkatastrophe brachte die Bevölkerung in grosse Not. Die reichliche Ernte an Heu und Garben (Bündel aus Getreidehalmen, einschliesslich der Ähren) wurde durch das Feuer vollständig vernichtet. «Von der Fahrhabe war nur etwa die Hälfte versichert», schreibt Heinrich Zumsteg und es wurde nur wenig gerettet. «Lebensmittel gar keine.»

Die Feuerwehr konnte sehr spät eingreifen, weil Etzgen und Mettau zusammen nur eine Spritze besassen, die in Mettau deponiert war. Die Häuser waren damals noch zum überwiegenden Teil mit Stroh bedeckt. Insgesamt hatte das Feuer 20 Gebäude mit 30 Wohnungen ergriffen. Davon wurden 25 Wohnungen ganz zerstört, fünf Wohnungen beschädigt. Die ganz zerstörten Gebäude waren gemäss Heinrich Zumsteg zusammen auf 62 800 Franken geschätzt und zu 54 100 Franken versichert. Die Eigentümer erlitten damit eine Einbusse von 8700 Franken.

Das Mobiliar von 13 Familien war versichert und laut Zumsteg wurde der Schaden mit total 20 665 Franken vollständig vergütet. Zehn Eigentümer waren unversichert und erlitten deshalb einen Verlust an beweglichem Vermögen von total 20 580 Franken. «Sogleich nach dem Brandfall wurde ein Hilfskomitee aus sieben Mitgliedern gebildet, welches sich mit einem Aufruf an die benachbarte Bevölkerung wandte», so Heinrich Zumsteg.

In sämtlichen Gemeinden des Bezirks Laufenburg sowie in Villigen, Remigen, Brugg, Leibstadt, Leuggern und Böttstein «wurden für die schwer heimgesuchten Brandgeschädigten Liebesgaben gesammelt». Der Beitrag des Kantons betrug 1600 Franken.

Nur knapp ein Jahr später, am 30. November 1870, wurden durch einen weiteren Brandfall sechs Familien geschädigt. Das Versicherungsamt richtete dafür eine Schadenvergütung von total 11 317 Franken aus. «Vermutlich als Folge dieser Schadenfälle wanderten in den Jahren 1870/71 wiederum eine ganze Anzahl Bürger von Etzgen nach Amerika aus», so Heinrich Zumsteg (siehe auch Box). Diese konnten die Reise jedoch diesmal selber finanzieren, dies aus den Vergütungen des Versicherungsamtes. Die Reisekosten nach Nordamerika per Dampfschiff betrugen damals 220 Franken pro erwachsene Person; für Kinder unter zehn Jahren 135 Franken. Wie Zumsteg hervorhebt: «Gute Verpflegung und gewissenhafte Spedition inbegriffen».


Die Sommerresidenz in Etzgen

Gemäss dem Rückspiegel «Das obere Fricktal von 1850-1950», einem Bildband der Gemeinnützigen Gesellschaft des Bezirks Laufenburg, wohnten im Jahr 1850 in Etzgen 315 Personen; 50 Jahre später waren es noch 256 Personen und 1950 betrug die Einwohnerzahl 271. In der Gemeinde gab es gemäss dem Fricktaler Historiker Linus Hüsser 25 Wohnhäuser; sieben davon mit Ziegeldach und 18 mit Strohdächern. Von den Nebengebäuden waren zehn mit Ziegeln und zwei mit Stroh bedeckt. Auf einem Ölgemälde von 1846 sieht man die Sommerresidenz (ein gotisches Herrenhaus) – das ehemalige Restaurant National – der Stiftsdamen von Bad Säckingen sowie das markante, erste Etzger Schulhaus, das 1843 erbaut wurde und während mehr als 100 Jahren das Wahrzeichen von Etzgen war. Wie Hüsser im Gespräch mit der NFZ sagte, habe bereits Kaiserin Maria-Theresia (sie herrschte von 1740 bis 1780) empfohlen, die Häuser oder zumindest die Erdgeschosse mit Steinen zu bauen und die Dächer mit Ziegeln einzudecken.

Etzgen war bis Ende 2009 eine eigenständige Gemeinde. Wie der bald 83-jährige Alt-Gemeindeammann (1970 bis 1985) von Etzgen, Heinz Zumsteg, gegenüber der NFZ sagt, feierte Etzgen im Jahr 1983 «150 Jahre eigenständige Gemeinde». Seit 2010 ist Etzgen – wie auch Hottwil, das früher zum Bezirk Brugg gehörte, sowie Mettau, Oberhofen und Wil – ein Ortsteil der Fusionsgemeinde Mettauertal.

Übrigens: Die Gemeinnützige Gesellschaft des Bezirks Laufenburg wurde 2015 aufgelöst; 200 Jahre nach ihrer Gründung. Warum Heinrich Zumsteg schrieb, dass es 1870/71 «wieder» zu Auswanderungen kam, konnte nicht ausfindig gemacht werden. Gemäss Recherchen von Linus Hüsser im Standartbuch zur Aargauer Auswanderung im 19. Jahrhundert ist dort über Etzgen nichts zu finden, was 1870 betrifft. (bz)


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