Mit wachem Geist und offenen Augen durchs Leben

  25.06.2019 Laufenburg

Johanna Meyer-Reichlin erinnert sich an ihrem 100. Geburtstag auch an die Zeit kurz vor dem zweiten Weltkrieg zurück. Damals weilte sie als Au-Pair in England. Die Jubilarin bezeichnet sich als Laufenburgerin durch und durch.

Susanne Hörth

Johanna Meyer-Reichlin sitzt am zurückliegenden Freitag in ihrem Zimmer im Laufenburger Pflegeheim gerade am Frühstückstisch, als sich schon wieder Besuch anmeldet. Alle wollen gratulieren kommen. Es ist der 100. Geburtstag von Johanna Meyer. Dass sie im Rollstuhl sitzt, fällt erst beim zweiten Blick auf. Vielmehr sind es die wachen Augen, das strahlende Lächeln und die offene Art, mit welcher die Jubilarin die Besucher für sich zu gewinnen weiss. Die volle Kaffeetasse bleibt unberührt. Es stört Johanna Meyer nicht.

Letztes Jahr habe ihr Urenkel ihr zum Geburtstag gratuliert und gemeint «jetzt bist Du 99. Nächstes Jahr dann schon 100.» «Ich habe fest gehofft, dass ich das noch erleben kann», sagt sie glücklich, lacht. Als Laufenburgerin durch und durch bezeichnet sie sich. Hier, in diesem Städtchen sei sie geboren, aufgewachsen und habe fast ihr ganzes Leben verbracht. Fast, denn: Nach der Schule habe es sie ins Ausland gezogen. Reisen wollte sie, Sprachen lernen, als Au-Pair-Mädchen arbeiten. Und so kam es, dass sie mit etwas mehr als 17 Jahren ihren Koffer mit einem Leiterwagen an den Bahnhof in Laufenburg transportierte. «Ein schöner, brauner Lederkoffer war das», weiss sie noch. Ein Koffer, der auch viel bewundert wurde. Der Vater «er war Bezirksschullehrer in Laufenburg» musste viele Papiere für seine ja noch nicht volljährige Tochter unterschreiben. Er sorgte auch dafür, dass seine Tochter mit einem Rückreisebillett ausgestattet war. Johanna Meyer erinnert sich noch gut an die Schifffahrt, die sie, die damals noch gar kein englisch sprach, an ihr Ziel in England brachte. «Es hat auf dem Schiff sehr geschwankt, ich musste mich in der Kabine hinlegen.» Die Seekrankheit war schnell vergessen. Denn schon bald konnte sie in das Haus einziehen, in welchem sie eineinhalb Jahre bleiben wird und während dieser Zeit als Au-Pair für zwei Mädchen verantwortlich war. Der Laufenburger Vizeammann Meinrad Schraner meinte bei der Überbringung der Glückwünsche von Seiten Stadtbehörde und auch vom Regierungsrat sichtlich beeindruckt: «Sie waren eine wirklich mutige Frau.» Johanna Meyer lacht: «Für damalige Verhältnisse sicher schon.»

Die junge Frau reiste weiter und wäre auch noch von Zuhause ferngeblieben, wenn nicht 1939 ein Telegramm ihres Vaters die direkte Heimkehr nach sich zog. «Er wollte, dass ich wegen der Kriegsgefahren schnell nach Hause komme.». Bezugnehmend zum Telegramm meinte sie, dass man damals entgegen der heutigen Zeiten nicht einfach habe schnell telefonieren können. «Wir haben uns immer nur geschrieben.»

Ausbildung zur Säuglingsschwester
Nach ihrer Rückkehr in die Schweiz absolvierte die junge Johanna eine Ausbildung zur Säuglings-Krankenschwester. Ein Wissen, von welchem sie später auch als Mutter eines Sohnes und einer Tochter profitieren konnte. Ihr Mann war der Geometer Hans Meyer, dessen Vater hatte 1903 das Vermessungsbüro (heute Koch + Partner) gegründet. Stolz erzählt Johanna Meyer, dass ihr Mann sich in den Vereinen wie auch für die Gemeinde engagiert hat. Dass sie selbst die Gemeinschaft und damit zusammenhängend auch die gemeinsamen Erinnerungen liebt, macht sie deutlich mit: «Ich habe 21 Mal unsere Klassenzusammenkunft organisiert.» In all den Jahren habe sie erlebt, wie Laufenburg gewachsen ist. «Es wird noch immer sehr viel gebaut», merkt sie Richtung Vizeammann Meinrad Schraner mit leicht kritischem Unterton an. Laufenburg ist aber nach wie vor der Ort, an dem sich die fünffache Grossmutter und mittlerweile fünffache Urgrossmutter sehr wohlfühlt. «Seit eineinhalb Jahren bin ich nun im Pflegeheim», so die Jubilarin. Laufen kann sie seit einiger Zeit nicht mehr so gut. Darauf angesprochen, wie schön sie erzählen kann, wie blumig sie diese Erzählungen auch auszuschmücken vermag, schmunzelt sie: «Eigentlich wollte ich mal ein Buch über mein Leben schreiben. Aber ich glaube, dafür ist es jetzt vielleicht schon etwas spät.» So ganz überzeugt klingt sie aber nicht. Ihr 100. Geburtstag wird auf jeden Fall sicher noch einiges an Erlebnissen und somit an Schreibstoff liefern.


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote