«Die Gemütlichkeit ging verloren»

  30.06.2019 Möhlin

Mike Waldmeier und seine Schwester Sandra Güntert wirten seit 1996 auf dem «Löwen» in Möhlin. In den letzten Jahren hat sich viel verändert.

Janine Tschopp

«Das ist der neue Stammtisch», sagt Mike Waldmeier und zeigt auf sein Handy. «Der ursprüngliche Stammtisch ist am Aussterben.» Das Konsumverhalten der Gäste habe sich in den letzten Jahren stark verändert, und dass jemand länger im Restaurant «hocken bleibt» komme nur noch selten vor. «Die Gemütlichkeit ging verloren.»

Vor 23 Jahren haben die Möhliner Geschwister Mike Waldmeier und Sandra Güntert das Restaurant Löwen von ihrem Onkel übernommen. Zuvor wurde es durch den Urgrossvater und den Grossvater geführt. In historischen Dokumenten ist laut Mike Waldmeier nachzulesen, dass beim «Löwen» bereits seit dem 8. Jahrhundert ein Restaurant geführt wird.

«Meine Mutter servierte im ‹Löwen› früher oftmals, so waren wir Kinder auch viel hier. Ich fand es toll im Restaurant», erinnert sich Mike Waldmeier. Koch zu lernen, war kein Kindheitstraum. «Ich lernte Koch, weil mir nicht anderes eingefallen ist. Oder vielleicht weil ich einen Onkel in Amerika hatte, der Koch war.» Nach der Kochlehre liess sich Mike Waldmeier zum Servicefach-Angestellten ausbilden und arbeitete während zehn Jahren in verschiedenen Gastronomiebetrieben in der Schweiz und im nahen Ausland. In der «Krone» in Aarburg, wo er bereits die Ausbildung zum Servicefach-Angestellten genoss, arbeitete er auch während der Wirteschule.

«Mühe als Mann akzeptiert zu werden»
Obschon sowohl Mike Waldmeier als auch seine Schwester über die Kochund die Service-Ausbildung verfügen, ist sie vorwiegend in der Küche und er im Service. «Sie kann viel besser kochen als ich.» Und er sei der «Schwätzer». So passe es gut, dass er den Service übernimmt. Dann erzählt er von den Anfangszeiten: «Ich hatte Mühe, als Mann im Service eines Dorfrestaurants akzeptiert zu werden. Die Männer am Stammtisch wären lieber von einer ‹knackigen› Frau bedient worden.» Mike Waldmeier liebt es, im Service zu arbeiten und macht auch sehr gerne Witze und Spässe mit den Gästen. «Da spielt manchmal ganz viel Adrenalin mit. Es kam auch schon vor, dass es zu viel wurde, und ich danach einem Gast Blumen gebracht habe, um mich zu entschuldigen», erzählt er.

Gerne Gastgeber
«Gäste zu haben, ist etwas sehr Schönes. Es gefällt mir, immer wieder neue Menschen kennen zu lernen.» Der «Löwen» wird nicht nur durch die lokale Bevölkerung, sondern von Leuten aus nah und fern besucht. «Wir hatten schon Gäste aus der ganzen Welt.»

Auch wenn Mike Waldmeier und seine Schwester die Geselligkeit vermissen, die früher im «Löwen» herrschte, dürfen sie mit der Geschäftsentwicklung sehr zufrieden sein. Die Gäste konsumieren, aber in viel kürzerer Zeit als früher. «Abends um halb sieben ist unser Restaurant voll, um viertel nach neun ist Auszug aus Ägypten», beschreibt Mike Waldmeier.

Im Gespräch mit dem Wirt kommt heraus, dass es die saisonale, regionale Küche und die Liebe zum Detail bezüglich Dekorationen ist, welche dem «Löwen» unter anderem zum Erfolg verhelfen. In den letzten Jahren sind es auch spezielle Anlässe, wie das mehrwöchige Bierfest oder die «Landliebi»-Tage, welche bei den Gästen gut ankommen. Auch der Wagen, wo die Besucher im Winter Fondue oder Raclette geniessen können, wird sehr geschätzt.

«Für das Bierfest im August hatten wir vier Wochenenden zu tun. Zirka 30 Personen aus unserem Kollegenkreis haben uns geholfen, das Holz für die Dekorationen zu sägen», erzählt Mike Waldmeier.

Seit dem Schulabschluss ist der 48-Jährige in der Gastronomie tätig. Oftmals arbeitet er, wenn andere frei haben und umgekehrt. Ist es schwierig, mit seinen Arbeitszeiten einen Freundeskreis zu pflegen? «Es ist okay», sagt er, «ich habe lieber nur wenige Freunde, aber dafür die richtigen.»

Die unregelmässigen Arbeitszeiten sind vermutlich auch ein Grund, warum es nicht einfach ist, in der Gastronomie Personal zu finden. «Wir mussten sehr lange nach einem Koch suchen. Weil wir zu wenig Personal hatten, mussten wir vorübergehend montags schliessen. Ab 1. Juli haben wir wieder von Montag bis Freitag geöffnet», erklärt Mike Waldmeier.

Oldtimer und Offroader
Wenn Mike Waldmeier frei hat, geniesst er es manchmal auch, privat Gastgeber zu sein und seine Freunde zu bekochen. Ein weiteres langjähriges Hobby sind Oldtimer-Autos, wovon er zwischenzeitlich fünf Stück besitzt. «Ich mache gerne Blustfahrten. Da kann ich mich sehr gut entspannen.»

Auch gut entspannen kann er sich auf seinen Reisen. Zusammen mit Kollegen geniesst er es, mit dem Geländewagen quer durch die Wüste von Namibia zu fahren und unter freiem Himmel zu campieren. Er liebt Lagerfeuer-Romantik und zeigt Bilder auf seinem Handy, worauf ein Lagerfeuer und ein wunderschöner Sternenhimmel zu sehen sind. «Die Ferien gehen dann los, wenn wir weg von den geteerten Strassen sind.» Durch Strassen zu fahren, respektive Strassen zu suchen, wo im letzten halben Jahr niemand durchgefahren ist, ist nicht unbedingt entspannend. Trotzdem sind solche Reisen für Mike Waldmeier ideal, während ein paar Tagen den Alltag zu vergessen und neue Energie zu tanken.

Könnte er sich vorstellen, dass sein Alltag eines Tages ganz anders aussehen würde, als in den letzten Jahren? Weit weg vom Restaurant Löwen in Möhlin? «Den ‹Löwen› würde ich nicht so vermissen, aber die Gäste schon», sagt der Mann, der schon seit Jahrzehnten ein leidenschaftlicher Gastgeber ist.


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