«Glück ist, wenn man etwas verschenken kann»

  21.05.2019 Rheinfelden

Gut besuchte Diskussionsrunde «Fokus Fricktal»

Eine Pfarrerin und ein Volkswirtschafts-Professor diskutierten in der Stadtbibliothek Rheinfelden über das Thema Glück. Sie kamen zu ähnlichen Schlüssen.

Valentin Zumsteg

Bereits zum vierten Mal ist am vergangenen Donnerstagabend eine Veranstaltung der Diskussionsreihe «Fokus Fricktal» in der Rheinfelder Stadtbibliothek durchgeführt worden. Diesmal widmete sich der Anlass, der von rund 60 Interessierten besucht wurde, einem grossen Thema: dem Glück. «Es ist eine zentrale Lebensfrage. Wir wollen es alle, wir suchen es – und manchmal ist es da, ohne dass wir es merken», erklärte eingangs Moderatorin Gaby Gerber, die souverän durch den Abend führte. Zwei sehr unterschiedliche Referenten waren geladen, um je einen Inputvortrag zu halten: Zum einen Volkswirtschafts-Professor und Glücksforscher Mathias Binswanger, zum anderen die Rheinfelder Pfarrerin Christine Ruszkowski.

Binswanger, der an der Fachhochschule Nordwestschweiz und an der Universität St. Gallen lehrt, sprach über die «Tretmühlen des Glücks». So heisst ein Buch, das er vor ein paar Jahren veröffentlichte und das sich zu einem Besteller entwickelt hat. «Das durchschnittliche subjektive Wohlbefinden der Menschen stagniert ab einer bestimmten Einkommenshöhe», schilderte er. Obwohl es den meisten Menschen bei uns finanziell immer besser geht, nimmt die Zufriedenheit nicht zu.

«Lieber weniger Stress und mehr Zeit»
«Warum rennen die Menschen stets einem höheren Einkommen hinterher, obwohl sie mehr Einkommen nicht glücklicher macht und sie eigentlich lieber weniger Stress und mehr Zeit hätten?», fragte Binswanger und lieferte gleich die Antwort: Schuld sind die Statustretmühle, die Anspruchstretmühle, die Multioptionstretmühle und die Zeitspartretmühle. Das Charakteristische einer Tretmühle ist, dass man am gleichen Ort bleibt, obwohl man immer schneller rennt. «Die Menschen vergleichen sich ständig mit anderen für sie relevanten Personen, und ihr Glück hängt grösstenteils vom Resultat dieses Vergleichs ab. Es ist aber unmöglich, dass alle besser als der Durchschnitt sind. Die Suche nach Status führt insgesamt zu einem Nullsummenspiel auf immer höheren Ebenen», sagte Binswanger. Ähnlich wie mit dem Status verhält es sich mit den Ansprüchen: «Die Ansprüche der Menschen steigen mit höherem Einkommen. Die steigenden Ansprüche führen dazu, dass die Freude über mehr Einkommen und mehr Besitz an materiellen Gütern nicht lange anhält.» Auch die immer grössere Wahlmöglichkeit bei Arbeit, Freizeit und Konsum kann zu einer Belastung werden. Das Gleiche gilt bei den vermeintlichen Zeiteinsparungen. Der technische Fortschritt erlaubt es uns, dass wir bestimmte Aktivitäten immer schneller durchführen können. Doch die Menschen haben deswegen nicht mehr Zeit. «Je schneller die Transportmittel werden, umso weiter und häufiger fahren wir», nannte Binswanger ein Beispiel.

Seine Tipps, um den Tretmühlen zu entgehen: «Attraktives Sozialleben statt Anhäufung materieller Güter. Nicht immer nach dem Besten suchen. Keine Verherrlichung von Effizienz, Innovation, Wettbewerbsfähigkeit und Reformen.» Und: «Vermeidung von stressigen Formen des Familienlebens».

Das Glück mit anderen teilen
Pfarrerin Christine Ruszkowski nahm den Faden auf. Sie stellte den aktuellen Resultaten der Glücksforschung Zitate aus der Bibel gegenüber – und kam auf viel Verbindendes. Heisst es in der Forschung etwa «je materialistischer wir sind, desto weniger zufrieden sind wir mit unserem Leben», so steht in der Bibel «wer Geld liebt, wird des Geldes nie satt, und wer Reichtum liebt, bekommt nie genug.»

Die Pfarrerin erzählte von schweren Schicksalen, die sie bei ihrer Arbeit als Seelsorgerin kennenlernt. So begleitet sie beispielsweise seit über 20 Jahren eine Frau, die in einer tiefen Depression gefangen ist. Nur hin und wieder gibt es kurze Momente, in denen sich der Schleier hebt. «Sie erzählt mir dann, dass sie draussen war, die Sonne und die Blumen genossen hat und einem Nachbar etwas schenken konnte. Von diesen Momenten zehrt sie lange. Diese Frau hat eine Gabe, ihr kleines kurzes Glück zu sehen und mit anderen zu teilen.» Ruszkowski berichtete aber auch von einer jungen Frau, die sie in einem Flüchtlingslager im Libanon kennenlernte. Obwohl die Frau selber kaum etwas hat, war ihr Wunsch, einer Übersetzerin etwas zu schenken. «Jeder Mensch kann glücklich sein, wenn er so viel hat, dass er einem anderen etwas schenken kann», so definierte Ruszkowski die Untergrenze des Glücks. Sie ist überzeugt, dass alle Menschen tief in sich drinnen wissen, was sie glücklich macht.

Im Anschluss an die Referate gab es zahlreiche Wortmeldungen, die alle in die gleiche Richtung zielten: Es sind nicht die materiellen Dinge, die wirklich glücklich machen, sondern die Begegnungen mit anderen Menschen.


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