Zur Strafarbeit verdonnert

  24.04.2019 Münchwilen

Münchwiler Nachtlärmer gedenken ihrer Jugendsünde – mit Freude

Am frühen Karfreitagmorgen anno 1961 wurde eine Gruppe junger Münchwiler vom Dorfpolizisten des unerlaubten Gesangs vor dem Haus einer Holden überführt. 56 Jahre danach trafen sich die frohgemuten Übeltäter unter der Friedenslinde.

Simone Rufli

Der Jahrestag des «Turnplatzjäten» – die Nachtlärmer feiern ihn seit 2001 alle zwei Jahre. Längst wohnen nicht mehr alle in Münchwilen, doch kein Weg ist ihnen zu weit, um sich gemeinsam der guten alten Übeltat zu erinnern. Martin, Urban, Bruno, Erich, Franz, Walter, Willy, Hansruedi, Werner und Bernhard – «die Nachnamen möchten wir nicht in der Zeitung lesen», sagen sie; mit Nachdruck. Verständlich, haben sie doch alle mächtig Dreck am Stecken. Dass mehrere ehemalige Gemeindeammänner, Gemeinderäte und Feuerwehrkommandanten darunter sind, hängen wir deshalb auch nicht an die grosse Glocke. Doch was haben die Jungs eigentlich angestellt? «Gesungen haben wir!» Gelächter. «Weil einer ein Auge auf die Holde geworfen hat.» Unter der Linde – sie wurde 1918 zum Ende des ersten Weltkriegs gepflanzt – wird angestossen. «Schwarze Rose Rosemarie» von Peter Kraus, so hiess das Lied.

Ein bisschen zu laut
Ein bisschen spät sei es schon gewesen, geben sie jetzt zu. Nach Mitternacht. «Drum war ja auch der «Dorfscheriff» unterwegs, zur Kontrolle der Polizeistunde. Und da hat er uns halt singen hören – so gegen halb zwei am Karfreitagmorgen.» Sie hätten kräftige Stimmen gehabt. «Möglich, dass es ein bisschen laut gewesen ist.» Einer musste mal austreten, lief dem «Scheriff» in die Arme. Der Schrecken sitzt dem armen Kerl noch heute im Nacken. Darauf muss man anstossen unter der Linde.

Früher in der Nacht konnten sie nicht singen. «Vorunterricht, Turnverein, danach noch Mut antrinken.» Dabei hatten sie ja eine Einladung zum Kaffee von der Holden. «Das kümmerte den Dorfscheriff nicht. Er wollte von mir wissen, wer alles an der Tat beteiligt ist», erzählt der eine, der wie alle anderen nicht namentlich genannt werden will, weil er damals kreidebleich vor Schreck war. Da lachen sie wieder. «Wir haben zusammengehalten. Alle sind wir vors Haus getreten. In einer Reihe haben wir uns aufgestellt und unsere Namen zu Protokoll gegeben.» Dann mussten sie noch woanders antraben. «Vor den Gemeinderat wurden wir zitiert. Und der hat uns dann zur Strafarbeit verdonnert – Turnplatzjäten!» Die Männer lachen. Zehn sind sie noch. Zwei sind verstorben. Zehn Versionen von einer Nacht kursieren unter der Linde. Die Sonne scheint. «Das haben wir schon anders erlebt. Bei Regen haben wir auch schon in der Garage dort drüben angestossen.»

Bitten um ein Znüni
Sie erzählen weiter: Einfach so gingen die Herren natürlich nicht zum Jäten. «Wir zogen durchs Dorf und baten um Spenden, um unsere schwere Strafe zu mildern.» Ein Foto macht die Runde. Die Jungs mit einem Leiterwagen. «Nachtlärmer bitten um ein Znüni» steht in grossen Buchstaben auf einem Schild am Leiterwagen, mit dem sie zur Strafarbeit schritten. In der «National Zeitung» von damals konnte man lesen, was weiter geschah: «Nach vollbrachtem Werk aber zogen sie auf den Dorfplatz, fachten ein Feuer an und bei Handorgelmusik und Gesang verzehrten sie das von der Bevölkerung mannigfaltig an Brot, Wurst, Speck, Most und Bier Dargebrachte.» Essen, ein gutes Stichwort. Der Tisch fürs gemeinsame Mittagessen ist reserviert, ein paar Meter weiter unten im «Pöstli». Eine Frage noch: Was wurde denn aus der Holden? «Die behalten wir gerne so in Erinnerung wie sie damals war.» Unter der Friedenslinde wird angestossen.


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