Erst die Geschichte macht das Objekt lebendig

  19.04.2019 Laufenburg

Ute W. Gottschall ist Leiterin des Rehmann-Museums in Laufenburg sowie stellvertretende Leiterin des Fricktaler Museums in Rheinfelden. Sie wünscht sich Lebendigkeit und Mitmachen – von den Museen und den Besuchern.

Birke Luu

«Nachts allein im Museum», das passt zwar nicht, denn es ist später Vormittag und ich bin mit der Museumsleiterin verabredet. Dennoch ist es etwas Besonderes, so abseits der Öffnungszeiten nahezu allein durch die Ausstellungsräume zu laufen. Es ist ruhig und warm, wirkt hell und freundlich und vom Museumscafe aus hat man einen tollen Blick in die Natur. Ich bin im Laufenburger Rehmann-Museum – weil es Mittwoch ist, zu Wochenbeginn hätte ich Ute W. Gottschall an ihrem anderen Arbeitsort, dem Fricktaler Museum in Rheinfelden getroffen. Beide Museen verbindet, dass ich sie bisher hauptsächlich von aussen gesehen habe. Ute W. Gottschall hingegen kennt, gestaltet und prägt sie von innen.

Der Kreis schliesst sich
Die beiden Museen sind für den Besucher sehr unterschiedlich: In dem einen wird die Fricktaler Geschichte aufgearbeitet, im anderen werden hauptsächlich Skulpturen von Erwin Rehmann präsentiert. Für Ute W. Gottschall liegt der Hauptunterschied jedoch darin, dass das Laufenburger Museum auf privates Fundraising angewiesen ist, während das Fricktaler Museum von den Ortsbürgern getragen wird. Zudem sei sie in Rheinfelden nicht nur für das Management zuständig, sondern auch als Kuratorin für die Sammlung. Sie kümmere sich um die bestehende Sammlung, begutachte Schenkungen und sei unterwegs um Neuem hinterherzuspüren. Letzteres ist eine Art Fortsetzung ihres Studiums, denn zunächst war es ihr Traum gewesen zu forschen. Zumindest bis ihr klar wurde, «dass man auch im Museum etwas entdecken kann und dass diese Entdeckungsreise unendlich viel Spass macht». Ihre Eltern hätten sie stets darin unterstützt «Orchideenfächer» zu studieren, auch wenn andere solch brotlose Kunst wie Klassische Archäologie und Alte Geschichte mit Zweifeln betrachteten. Ute W. Gottschall hat auch mal in der Wirtschaft gearbeitet, resümiert dies aber als ambivalent. «Was man im Museum alles erleben und vermitteln kann, das ist einfach die ganze Energie wert, die man gibt. Das hier ist ehrlich und wahr – etwas anders als in der Wirtschaft», erklärt die Riehenerin. Man merkt, dass sie voll hinter ihrer Arbeit steht. Man brauche Kreativität, Entdeckerfreude sowie Optimismus und müsse zudem ein Philantrop sein. Warum letzteres? «Wir vermitteln Kulturgeschichte, dafür muss man am Miteinander der Menschen interessiert sein». Und das ist Ute W. Gottschall, die bewusst dann in ihre Museen kommt, wenn diese offen sind. «Ich möchte mit den Besuchern sprechen, die Menschen spüren».

Die Geschichte der Objekte
Aber warum sollte man überhaupt ins Museum gehen? «Wir wollen hier die Geschichten der Objekte erzählen», erklärt die Museumsleiterin. «Erst die Hintergrundgeschichte macht das Objekt lebendig! Dann bekommt selbst eine Mistgabel eine ganz besondere Bedeutung». Wir lachen, aber ich habe verstanden, dass dies der Kern des Ganzen ist. Sie erläutert, dass beim gleichen Objekt jeder Betrachter durch seinen persönlichen Hintergrund eine ganz andere Geschichte erleben könne: «Verblüffend und äusserst spannend, was da so beim Gespräch mit den Besuchern herauskommt». Genau solche Objektbetrachtungen mit anschliessender Gesprächsrunde werden im Rehmann- Museum angeboten – und dies wirklich für alle, denn jeder könne schliesslich sagen, ob ihm etwas gefalle oder nicht. «Statt kunsthistorisches Gesäusel höre ich lieber ein unvoreingenommenes ‹Das ist schön rund und gefällt mir deshalb› », meint Ute W. Gottschall temperamentvoll.

Keine Heiligenhalle mehr
Ihrer Meinung nach sollten Museen keine Heiligenhallen wie früher sein, sondern lebendige Orte der Begegnung und des Austauschs. Lautes Reden und auch Kinder im Museum seien toll: «Ich hatte schon Schüler da, die dann nachmittags mit ihren Freunden wieder ins Museum zurückkamen, weil es ihnen so gut gefallen hatte. Nicht ich war geschockt, sondern deren Eltern», meint sie lachend.

Die Besucher sollten ein Museum spannend finden, dort etwas entdecken können, dann diese tollen Geschichten mit nach Hause nehmen und schliesslich wiederkommen. Mit unterschiedlichen Formaten und Angeboten für verschiedene Zielgruppen möchte sie die alten Sichtweisen aufbrechen und die Besucher zum Mitmachen bewegen. Bei «Erwins Werkstatt» kann daher im Rehmann-Museum selbst Hand angelegt und ausprobiert werden.

Aber auch im Fricktaler Museum könne man sich selbst einbringen, indem man alte Dinge nicht gleich wegwerfe, sondern sie dem Museum anbiete. «Omas Alltagsgläser erhalten so im Museum durch ihre interessante Geschichte einen neuen Status». Ein Museum soll also die Wertschätzung für alltägliche Dinge erhöhen. Und welches Museum sollten die Fricktaler unbedingt mal besucht haben? «Ein Fricktaler sollte im Fricktal anfangen», lacht Ute W. Gottschall und erklärt: «Es ist schade, wenn man das Metropolitan Museum gesehen hat, aber das eigene Fricktaler Museum nicht kennt. Erst wenn ich meine eigene Geschichte kenne, kann ich die der anderen besser einschätzen».

Zwiesprache statt Massenkonsum
Und noch einen Tipp hat sie: Es gehe nicht darum, besuchte Museen abzuhaken oder alles gesehen zu haben, sondern: «Ich schaue teils nur drei für mich relevante Objekte an, deren intensiver Eindruck bleibt mir dann aber auch». Dementsprechend hat sie auch kein Lieblingsmuseum, dafür einzelne Lieblingsobjekte in jedem Museum. Nun aber vom Rat zur Tat. Sie führt mich in den Museumsgarten, wo sich ihre hiesigen beiden Lieblingsskulpturen befinden. Wieder zurück im Foyer will ich mich verabschieden, aber sie macht mich auf eine der dort stehenden Skulpturen aufmerksam. Ich schaue genauer hin, wir tauschen uns aus, sprechen darüber. Und als ich dann gehe, bleiben mir zusätzlich zur angenehmen Athmosphäre des Museums auch noch drei Skulpturen in Erinnerung, zu denen ich von nun an eine besondere Verbindung habe.


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote