Ein Lehrling mit über 40

  07.04.2019 Kaiseraugst

Nach einer Lebenskrise hat er einen neuen Weg eingeschlagen Rico Mohni aus Kaiseraugst war Bauingenieur und erfolgreich in seinem Beruf. Als seine Frau erkrankte und starb, warf ihn dies komplett aus der Bahn. Heute ist der Vater eines 13-jährigen Sohns Orgelbau-Lehrling. Er hat die Lebensfreude wieder gefunden.

Valentin Zumsteg

«Eigentlich war alles vorgezeichnet in meinem Leben – doch dann kam es anders», erzählt Rico Mohni. Der 43-Jährige ist Lehrling im dritten Jahr in der Orgelbau-Werkstätte von Peter Meier in Rheinfelden. Sein Lehrmeister ist nur fünf Jahre älter als er. Früher hat Mohni selber Lehrlinge ausgebildet. Dass er in seinem Alter hier lernt und arbeitet, hängt mit einer tiefen Lebenskrise zusammen.

Eine Welt brach zusammen
Aufgewachsen ist Mohni im Baselbiet. Nach der Volksschul-Zeit machte er eine Lehre als Tiefbauzeichner mit Berufsmatur. «Ich hatte Freude an meinem Beruf», erinnert er sich. Sofort nach der Rekrutenschule ging er an die Fachhochschule und liess sich zum Bauingenieur ausbilden. Er kam beruflich zügig vorwärts: Nach dem Studium arbeitete er einige Jahre in einem Ingenieurbüro. Als sich ihm die Möglichkeit bot, stieg er bei einer anderen Firma als Projektleiter für die IT ein. Eigentlich war das befristet auf ein einziges Projekt und 18 Monate, doch daraus wurden drei Jahre und viele weitere Projekte.

Wie es danach weitergehen sollte, war offen. Er hatte viele Interessen und konnte sich eine berufliche Neuorientierung vorstellen – deswegen liess er sich in einem Institut für Angewandte Psychologie beraten und testen. Das überraschende Ergebnis: Instrumentenbauer wäre ein Beruf für ihn. Obwohl er seit langem Klavier spielte, kam das nicht infrage, denn die Familienplanung stand an. Deswegen kehrte er wieder in seinen Beruf als Bauingenieur zurück und konnte in einen Betrieb einsteigen, bei dem er als Nachfolger des Chefs vorgesehen war. Er studierte nebenberuflich Betriebswirtschaft, um gerüstet zu sein für die kommenden Aufgaben. Der Karriere stand nichts im Wege.

Alles lief wie am Schnürchen – nicht nur beruflich, auch privat. Mohni war glücklich verheiratet, 2005 kam ein Sohn auf die Welt und 2007 konnte die junge Familie, die zuvor in Rheinfelden gewohnt hatte, ihr Eigenheim in Kaiseraugst beziehen. «Kein halbes Jahr später folgte der Schlag. Völlig unerwartet. Bei meiner Frau wurde ein Hirntumor diagnostiziert. Unheilbar», erzählt er. Damit brach eine Welt zusammen. «Je schlechter es meiner Frau ging, desto schlechter ging es mir.» Alles schien sinnlos. Er erlebte depressive Phasen. «Als meine Frau 2015 starb, konnte ich nicht mehr. Ich wurde krankgeschrieben, ging in Therapie. Doch das brachte wenig. Ich sah nur noch schwarz.» Daraus ergaben sich auch existenzielle Sorgen.

Wie ein Befreiungsschlag
Nach ein paar Monaten erhielt er die Kündigung seines Arbeitgebers – die Karriere in dieser Firma war damit vorbei. «Komischerweise war das wie ein Befreiungsschlag. Die Fesseln hatten sich gelöst.»

In dieser Zeit kam ihm der Berufstest wieder in die Hand, der ihm eine Ausbildung zum Instrumentenbauer empfohlen hatte. «Ich brach in Tränen aus und sah eine Möglichkeit, mich völlig neu zu orientieren und einen Weg aus dem Tief zu finden.» Die Invalidenversicherung, von der er und sein Sohn mittlerweile lebten, unterstützte diesen Plan. So begann er eine Lehrstelle zu suchen – und wurde in Rheinfelden fündig. Mit 40 Jahren konnte er die Ausbildung beginnen – als Lehrling. «In der Schule bin ich der einzige ältere Mann. Ich könnte vom Alter her der Vater meiner Mitschüler sein», erzählt er mit einem Schmunzeln. Im Gespräch ist unübersehbar – Rico Mohni hat die Lebensfreude wieder gefunden. Er erzählt mit Begeisterung, lacht viel und seine Augen strahlen. Der Beruf, den er jetzt lernt, gefällt ihm. «Es macht mir grosse Freude. Beim Orgelbauer kommt so vieles zusammen: Die Arbeit mit dem Holz, die Planung, die Akustik, das Künstlerische.» Er kann auch immer wieder auf sein Wissen zurückgreifen, das er in seinen bisherigen Studien erlangt hat.

«Der Tod hat mich wachgerüttelt»
«Der Tod meiner Frau hat mich wachgerüttelt und mir gezeigt, wie wertvoll das Leben ist», sagt Mohni, der mittlerweile eine neue Partnerin gefunden hat. Es wäre zwar einfacher und lukrativer gewesen, wieder in seinen alten Beruf als Bauingenieur zurückzukehren – Angebote gab es einige. «Ich wäre aber wohl versauert und irgendwann unzufrieden geworden.»

Und so ist er als 43-jähriger Lehrling zwar ein Exot, der aber den Schritt in die neue Richtung nie bereut hat. Er ist seiner inneren Stimme gefolgt. Am 31. Juli 2020 endet seine Lehrzeit. «Ich freue mich darauf, die Ausbildung erfolgreich abzuschliessen.» Ab dann möchte er sein Glück als Orgelbauer finden.


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