«Praxen aufkaufen ist völlig unnötig»

  16.03.2019 Rheinfelden

Mit dem Kauf von Arztpraxen versuche das Gesundheitszentrum Fricktal zu mehr Zuweisungen, Umsatz und höheren Fallzahlen zu kommen, sagt der pensionierte Rheinfelder Allgemeinmediziner Martin Rickenbacher. Die fehlenden Hausärzte durch Assistenten der Spitäler zu ersetzen, erhöhe die Kosten, da hausärztliche Erfahrung fehle. (nfz)


«Die heutigen Strukturen sind überholt»

Martin Rickenbacher sieht den Kanton zu Unrecht am Pranger

Hausärzte-Mangel, Druck auf Regionalspitäler, Spitalärzte mit zu wenig Gelegenheit zum Operieren und im Zentrum die Frage, nach dem richtigen Weg in die Zukunft. Das Gesundheitswesen brauche schweizweit mehr als kosmetische Eingriffe, findet der Arzt aus Rheinfelden.

Simone Rufli

Martin Rickenbacher, Allgemeinmediziner, Hausarzt, 1989 Gründer des Ärztehauses in Rheinfelden und einst langjähriger Präsident des Hausarztvereins Fricktal, beschäftigt sich – obwohl im Ruhestand – mit den drängenden Fragen rund ums Gesundheitswesen und sieht den Kanton – und explizit Gesundheitsdirektorin Franziska Roth – zu Unrecht am Pranger. Die NFZ unterhielt sich mit ihm über mögliche Zukunftsszenarien und unausweichliche Entwicklungen.

NFZ: Herr Rickenbacher, kann man eine Grundversorgung in der Region optimal für Patienten und auch ökonomisch betreiben?
Martin Rickenbacher:
Es ist eine Tatsache, dass wir in der Region zu viele Spitalbetten haben. Die heutigen Strukturen sind überholt. Geht es nach der kantonalen Vision einer Spitallandschaft 2035, sollen in Zukunft nicht mehr alle Leistungen flächendeckend angeboten werden. Für komplexe, spezialisierte Eingriffe müssten Aargauerinnen und Aargauer in ein Zentrumsspital. Ich bin überzeugt, dass dies die richtige Stossrichtung ist.

Welchen Vorteil würden denn Zentrumsspitäler mit sich bringen?
Nur eine grosse Zahl von gleichen Eingriffen mit eingespieltem Team ist effizient. Nur wer auf seinem Gebiet hohe Fallzahlen erreichen kann, ist überlebensfähig. Das klassische kleine Spital mit Rundumversorgung ist passé. Die Nähe zum Wohnort verliert bei der Wahl des Spitals zunehmend an Bedeutung, während die Qualität der medizinischen Behandlung immer wichtiger wird. Zentralisierung heisst Qualitätssicherung und Fortschritt. Den Beweis dafür, dass Zentralisierung im Gesundheitswesen funktioniert, erbringt Dänemark, das mit einem Viertel an Spitalbetten hochstehende, gute Medizin anbietet. Das Gesundheitszentrum Fricktal versucht stattdessen die Entwicklung aufzuhalten mit dem Kauf von Arztpraxen ausserhalb der Spitalmauern. In Frick, Gipf-Oberfrick, Stein und Rheinfelden.

Was ist daran falsch?
Praxen aufkaufen ist völlig unnötig. Letztlich ist dies nichts anderes als der Versuch, über Arztpraxen zu mehr Zuweisungen, Umsatz und höheren Fallzahlen zu kommen. Die fehlenden Hausärzte durch Assistenten der Spitäler zu ersetzen, erhöht die Kosten, da hausärztliche Erfahrung fehlt.

Hausarzt zu werden ist heute wenig attraktiv...
Das Spital sollte keine Konkurrenz zu freiberuflich tätigen Ärzten sein. Umgekehrt verstehe ich, dass heute weniger Mediziner Hausarzt werden wollen. Es ist nicht mehr so interessant wie früher. Dies zu ändern ist und wird schwierig sein. Doch man sollte das Vakuum zulassen und kantonal sowie schweizweit bessere tarifliche Voraussetzungen schaffen.

Von Aussen betrachtet scheint es, als ob das Gesundheitswesen irgendwie feststeckt.
Wirkungsvolle Reformen scheitern an Partikularinteressen. Ein Beispiel dafür ist die nicht zustande gekommene Spitalfusion beider Basel. Und trotzdem ist eines klar: das Gesundheitswesen befindet sich im Umbruch. Es muss sich ändern. Nur fehlt es den Politikern an Mut, die nötigen Schritte konsequent zu gehen. Man will ja wiedergewählt werden.

Was würde denn passieren, wenn ausser Kosmetik nichts geschieht?
Der Kostendruck wird die Spitäler zu Kooperationen zwingen. Doch eine Zusammenarbeit über Regions- oder gar über Kantonsgrenzen hinweg gestaltet sich schwierig. Früher oder später müssen Kliniken geschlossen werden, Umstrukturierungen sind zwingend. Das ist auch richtig so. Hohe Fallzahlen und Grösse sind zur Sicherung einer hochspezialisierten Medizin überlebenswichtig. Es braucht Spezialärzte mit Spezialeinrichtungen. Es braucht modernste Roboter zum Operieren. Denn die verrichten noch exaktere Arbeit. Ärzte, die nur alle paar Wochen die gleiche Operation durchführen könnten, neigten zu Unsicherheit. Unsicherheit bei Ärzten führt zu zusätzlichen Untersuchungen und Komplikationen. Diese wiederum verursachen zusätzliche Kosten. Genau gleich wie die Patienten, die mit Halbwissen aus dem Internet kommen und von sich aus bestimmte Untersuchungen fordern.

Was heisst das konkret für die Zukunft?
Das Gesundheitswesen sollte als Ganzes betrachtet und reformiert werden. Die Entwicklung lässt sich nicht künstlich aufhalten. Vor 20 Jahren schaute ein Orthopäde noch Schulter, Hand und Fuss an. Heute haben wir für alles einen Spezialisten.

Was bedeutet die im Gang befindliche Verlagerung einst stationär hochpreislich durchgeführter Eingriffe in den günstigeren ambulanten Bereich?
Das ist eine zusätzliche Erschwernis für die Spitäler. Stationär beteiligt sich der Kanton mit 55 Prozent an den Kosten, dem Patienten bzw. seiner Krankenkasse bleiben 45 Prozent. Erfolgt der gleiche Eingriff aber ambulant, muss die Krankenkasse für die gesamten Kosten aufkommen. Es ist eine Möglichkeit für den Kanton zu sparen, zu Lasten der Kassen und Prämienzahler.

Und wie soll sich in diesem Umfeld nun das GZF verhalten?
Die Spitalleitung des GZF, als durch die Öffentlichkeit finanziertes Institut, ist dazu aufgefordert, das Hauptaugenmerk auf das Wohl der Patienten und nicht auf den ökonomischen Erfolg zu richten. Ich weiss, dass dies einfach zu sagen und schwierig umzusetzen ist.

 


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