Tüftler kreieren Insektenrezepte

  25.02.2019 Gastronomie

Neu: Baselbieter Mehlwurm-Hacktätschli

Wie schmecken Mehlwurm, Heuschrecke und Grille am besten? Ein dreiköpfiges Team von Micarna will das herausfinden und tüftelt an verschiedenen Rezepten mit den Gliederfüsslern. Gekocht wird in Sissach.

Michèle Degen – Volksstimme

Mitten in Sissach befindet sich die vermutlich aussergewöhnlichste Küche der Nordwestschweiz. Aussergewöhnlich ist sie nicht wegen exklusiver Küchengeräte oder hochkarätiger Köche. Sondern aufgrund der Zutaten für die servierten Gerichte. Zwischen Mehl, Gewürzen und Eiern findet sich eine ganz besondere Zutat: Insekten. Denn Micarna, der Fleischhersteller der Migros, hat beschlossen, von dieser 1970er-Jahregrünen Küche auf dem Frech-Hoch-Areal aus, den Markt mit Insektenprodukten zu erobern.

Schon seit vergangenem Oktober verkauft die Migros ganze, ungewürzte Grillen, Heuschrecken und Mehlwürmer in rund einem Drittel ihrer Filialen. Auch der Konkurrent Coop hat die Gliederfüssler im Sortiment. Bisher sind die ganzen Insekten jedoch ein Nischenprodukt. Um die alternative Proteinquelle trotzdem einem grösseren Publikum schmackhaft zu machen, tüftelt ein dreiköpfiges Team in Sissach seit rund einem Jahr an verschiedenen Fertig-Produkten, in denen Insekten enthalten sind. Das erste Gericht, das dabei herauskam, sind Insektenbällchen. Den sogenannten Pop-Bugs-Balls sieht man nicht an, dass sie zu 17 Prozent aus kleinen Krabbeltieren bestehen. «Das senkt die Hemmschwelle, die Balls ein erstes Mal zu probieren», sagt Produktentwickler Meinrad Koch.

Mehlwürmer sind am günstigsten
Das Team, das sich um die Insektenprodukte kümmert, besteht aus Produktmanager Ralph Langholz, Produktentwickler Meinrad Koch und Hochschulabsolvent Michael Studer. Zu dritt arbeiten sie in einem grossen Raum im Industrieareal hinter dem Bahnhof. Darin befinden sich die ehemalige Mensa-Küche, ein abgetrennter Raum mit Vorräten sowie eine Büro-Ecke. Zusätzlich wurde in einer ehemaligen Garderobe eine Hygieneschleuse eingerichtet.

In der kleegrünen Küche tüftelt das Team an Rezepten für Insektenprodukte, die ein möglichst grosses Publikum ansprechen und dann irgendwann in den Regalen der Migros stehen sollen. Die Gruppe experimentiert dafür mit Gewürzen, Getreideprodukten, Ölen und gemahlenen Mehlwürmern, Grillen oder Heuschrecken. Dies sind die einzigen drei Insektenarten, die bisher in der Schweiz als Lebensmittel zugelassen sind. Das Insekten-Team kocht derzeit vor allem mit Mehlwürmern, da sie am einfachsten verfügbar und am preisgünstigsten sind. In der Schweiz bekommt man ein Kilo für 70 bis 80 Franken. Für ein Kilo Grillen bezahlt man ungefähr 120 Franken und für Heuschrecken muss man mit etwa 200 Franken pro Kilo sogar noch tiefer in die Tasche greifen. Zum Vergleich: 1 Kilo Rindsfilet kostet rund 110 Franken. Micarna bezieht seine Mehlwürmer jedoch aus Holland, wo sie in grösserer Menge gezüchtet werden und deshalb nur etwa einen Fünftel des Schweizer Preises kosten.

Eindeutige Zielgruppe gibt es nicht
Und das, obwohl Regionalität und Nachhaltigkeit heute so gross geschrieben werden wie nie zuvor. Laut Produktmanager Ralph Langholz widersprechen die holländischen Gliederfüssler der Forderung nach Nachhaltigkeit und Umweltschutz nicht. «Im Moment befinden sich die am weitesten entwickelten Zuchten für Speiseinsekten im europäischen Ausland. Wir haben zwar zu Beginn auch aus Schweizer Produktion bezogen, aber die Preisdifferenz ist im Moment zu hoch, um dem Endkonsumenten ein preisgünstiges und gleichzeitig schmackhaftes Produkt mit natürlichen Zutaten anzubieten. Da sich die Zucht von Speiseinsekten noch im Anfangsstadium befindet und es sich hierbei um einen Nischenmarkt handelt, macht es Sinn, die Forschung und die benötigten Mengen an einem Ort zu bündeln.»

Die Insektenabteilung der Micarna funktioniert ähnlich wie ein Start-up-Unternehmen. Das dreiköpfige Team kümmert sich sowohl um die Produktentwicklung als auch um Marketing, Verpackung und Konsumentenkontakt. Jeder ist an jedem Prozess beteiligt. An Food-Festivals bietet das Team seine neusten Kreationen an, beobachtet Reaktionen und Rückmeldungen und passt das Rezept, zurück in der Testküche, den Kundenwünschen an. So einfach wie es klingt, ist das aber nicht, denn: «Es gibt nicht den Insektenkonsumenten», sagt Koch und meint damit eine Zielgruppe, welche die Balls auf jeden Fall gut findet. Bietet das Team seine Produkte auf Food-Festivals an, probieren am einen Anlass beispielsweise mehr Frauen die Bällchen, am anderen sind eher die Männer interessiert. «Sobald man glaubt, eine Tendenz festzustellen, wird dieser Eindruck wieder über den Haufen geworfen», so Koch.

Aber wie schmecken Insekten denn nun? Koch nascht gleich einige ganze Grillen. Es knuspert ein bisschen. «Es kommt darauf an, in welcher Form man die Insekten konsumiert», sagt er dann. Gefriergetrocknet schmecken sie anders als frisch blanchiert oder zu Bällchen verarbeitet. Koch ist gelernter Bäcker-Konditor und kam über die Masterarbeit für sein Studium der Lebensmittelwissenschaften zu den Insekten als Nahrungsmittel. Da habe er auch zum ersten Mal selbst Insekten probiert. Ein- oder zweimal im Monat gebe es nun auch bei ihm zu Hause Insekten zu essen. «Hauptsächlich koche ich aber privat mit Insekten, wenn ich Besuch bekomme und danach gefragt werde.»

Geschmack erinnert an Falafel
«Am Anfang war es etwas seltsam, Insekten zu essen, aber man gewöhnt sich daran», sagt Koch. Nach dem grossen Genusserlebnis klingts irgendwie nicht. Doch ganze, ungesalzene Tiere zu essen ist nicht unbedingt etwas für Änfänger – und diese Tierchen unter die Leute zu bringen auch nicht das Ziel des Teams. Es versucht, mit seinem Bällchenrezept den Geschmack so vieler Leute wie möglich zu treffen und so eine breitere Masse auf die Proteinquelle aufmerksam zu machen. Und das scheint bisher nicht schlecht zu funktionieren. «Wenn die ersten sich getraut haben, ziehen ihre Freunde häufig mit», so Produktmanager Langholz. Und bisher habe es den meisten geschmeckt. Das zeigt auch ein Versuch. Das Team bot einmal während zweier Tage in einem Migros-Restaurant Insektenburger als Menu an. Diese kamen bei den Gästen sehr gut an.

Die zu Bällchen verarbeiteten Insekten erinnern vom Geschmack her an Falafel. Ähnlich wie die frittierten Bällchen aus pürierten Bohnen und Kichererbsen sehen sie auch aus. «Es geht darum, Vorurteile abzubauen», so Koch. «Vor Jahren konnte sich in Europa auch keiner vorstellen, rohen Fisch zu essen und nun ist Sushi so beliebt wie nie.» Dieser Meinung ist auch Langholz: «Noch ist es eine Nische, aber ich bin überzeugt, das wird sich ändern.»

Das erste Produkt aus der Sissacher Testküche, die Pop-Bugs-Balls, kommen diesen Monat auf den Markt. Insektenliebhaber und Wagemutige in der Schweiz müssen sich jedoch noch gedulden. Vorerst wird nur der ausländische Markt mit den Insektenbällchen beliefert. Dort sei die Nachfrage grösser als in der Schweiz.


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