«Mir steht die Welt nun offen»

  13.01.2019 Zeiningen

Der Zimmermann Dionys Soder geht im März für drei Jahre auf Wanderschaft

Er liebt seinen Beruf als Zimmermann und hat Lust, die Welt zu entdecken. So hat sich der 20-jährige Zeininger Dionys Soder entschlossen, sein Bündel zu packen und als Freier Vogtländer auf die Walz zu gehen.

Janine Tschopp

«Ich habe noch zwei Seiten voll Pendenzen, die ich vor meiner Reise erledigen muss», erklärt Dionys Soder. Es ist nicht eine alltägliche Reise, die ihm bevorsteht. Der 20-jährige Zeininger hat entschieden, Mitte März seine sieben Sachen zu packen und die Welt zu entdecken. Als Wandergeselle der Freien Vogtländer plant er, während rund drei Jahren unterwegs zu sein.

Mindestens zwei Jahre und ein Tag auf Wanderschaft zu sein, sind bei der Gesellenbruderschaft der Freien Vogtländer Pflicht. Im ersten Jahr ist vorgegeben, sich im deutschsprachigen Raum aufzuhalten. «Damit die Tradition hier nicht verloren geht», erklärt Dionys Soder. Da der junge Zimmermann viel von der Welt entdecken will, plant er, nicht nur zwei, sondern drei Jahre unterwegs zu sein.

«Mein Beruf gefällt mir ‹saugut›»
«Mein Beruf als Zimmermann gefällt mir ‹saugut›. Ich freue mich darauf, andere Firmen und andere Lösungen kennenzulernen und in vielen Baustilen, wie zum Beispiel dem Blockbau, dem Bootsbau und dem Chaletbau tätig zu sein», sagt Dionys Soder. Auch die Welt zu entdecken, ist schon länger ein Wunsch des jungen Mannes. Und dass er nun seine Arbeit mit dem Reisen verbinden kann, findet er optimal. «Normalerweise müsste man ganz viel Geld bezahlen, um die Welt zu erkunden. Mir steht sie nun offen», freut er sich. Sehen will er viele Orte, wie zum Beispiel Skandinavien, China und weitere Länder im asiatischen Raum. «Immer wenn ich jetzt irgendwo ein Bild eines schönen Ortes sehe, schaue ich nach, wo es ist.» Und schon hat Dionys Soder eine weitere Destination auf seiner «Wunschliste».

Er freut sich sehr auf die vielen beruflichen Erfahrungen, aber auch auf alles Zwischenmenschliche, was er auf seiner Reise erfahren wird. «Als Wandergeselle bereichert man sich nicht finanziell und nicht materiell, sondern geistig.»

Mit fünf Franken abreisen, mit fünf Franken heimkommen
Obwohl Wandergesellen ortsübliche Löhne bezahlt werden, ist es untersagt, sich finanziell zu bereichern. Es ist vorgeschrieben, die Reise mit fünf Franken im Bündel anzutreten und nach den Reisejahren mit nicht mehr und nicht weniger als fünf Franken heimzukommen. Wie Dionys Soder erklärt, reisen Wandergesellen hauptsächlich per Anhalter oder zu Fuss. Ein eigenes Fahrzeug dürfen sie sich in den Wanderjahren nicht kaufen. «Man darf nichts besitzen, das Kosten verursacht», so Soder. Den öffentlichen Verkehr zu nutzen, wird nicht gerne gesehen, eine Ausnahme ist die Reise mit dem Flugzeug für sehr weite Distanzen.

Was wird der junge Mann zusätzlich zu den fünf Franken in sein Bündel packen? «Arbeitskleider, Unterwäsche, Socken, einen Schlafsack und eine Fotokamera.» Und das Handy? «Ich darf kein Handy und auch kein anderes Gerät, auf welchem ich E-Mails empfangen könnte oder Internet-Anschluss habe, mitnehmen.» Dass er sein Handy zu Hause lassen muss, macht Dionys Soder keine Sorgen, im Gegenteil: «Ich bin froh, dass ich es abgeben kann. Wenn ich unterwegs eine E-Mail schreiben will, besuche ich ein Internet-Café.» Was wird der junge Mann auf seiner Wanderschaft am meisten vermissen? «Meine Familie, meine Freunde, meinen Töff und Zeiningen.» Seine Familie stehe zu hundert Prozent hinter seinem Entscheid und fände es toll, dass er diese Chance habe. Trotzdem: «Meiner Mutter wird das Herz bluten, wenn ich gehe.» Geplant sei, dass seine Familie in nächster Zeit den alten VW-Bus vermehrt beanspruchen werde, um ihn auf seiner Reise das eine oder andere Mal zu treffen. Die Vorgabe ist, dass sich der Wandergeselle immer mindestens 50 Kilometer entfernt von seinem Zuhause aufhält.

«Man schaut zueinander»
Alleine ist er auf seiner Reise nicht. In den ersten drei Monaten wird er durch einen erfahrenen Wandergesellen begleitet. «Ich werde sehr viel von ihm erfahren und lernen, was für meine Wanderzeit wichtig ist», sagt Dionys Soder. In Zunfthäusern der Freien Vogtländer wird er regelmässig Gelegenheit haben, seine Gesellenbrüder zu treffen. «Oftmals reist man zu zweit weiter.» Soder erklärt, dass es sich bei der Zunft anfühle, wie in einer grossen Familie. «Man schaut zueinander, keiner ist allein.» Er habe das auch selber so empfunden, als er die einwöchige «Heimreise» eines Gesellen begleiten durfte.

Wovor hat er am meisten Respekt, wenn der junge Zimmermann an seine Wanderjahre denkt? «Da ich meine Lehre erst letzten Sommer beendet habe, habe ich Respekt davor, den fachlichen Anforderungen, die mich erwarten, gerecht zu werden. Und dann habe ich schon jetzt ein bisschen Respekt vor der Heimkehr. Weggehen ist immer einfacher als heimzukommen. Und sich nach drei Jahren, in welchen man sorgenfrei gelebt hat, wieder zu integrieren, ist wahrscheinlich nicht so einfach.»

Vorerst denkt er aber nicht an seine Heimkehr, sondern an die Abreise. Und bevor der Zeininger Mitte März auf die Walz geht, kommt es hinter verschlossenen Türen im Zunfthaus in Eiken zum «Aufklopfen», einer Aufnahmezeremonie, bei der er unter anderem einen goldenen Ohrring als Erkennungszeichen erhält. Das Ohrloch wird notabene, wie es sich für einen Zimmermann gehört, mit Hammer und Nagel eingeklopft.


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