Als der Boden einstürzte

  15.12.2018 Rheinfelden

Die Ursachen und Auswirkungen der Landabsenkung zwischen Rheinfelden und Möhlin

Am Chlaustag 1986 senkte sich die Erde zwischen Rheinfelden und Möhlin auf einer Fläche von rund 7200 Quadratmetern. Das sorgte landesweit für Schlagzeilen. Die Landstrasse musste vorübergehend gesperrt werden. Der frühere Salzabbau in diesem Gebiet war die Ursache. Das kam die Vereinigten Schweizerischen Rheinsalinen teuer zu stehen.

Valentin Zumsteg

Tausende von Autos fahren täglich auf der Landstrasse zwischen Rheinfelden und Möhlin. Es ist die verkehrstechnische Hauptschlagader zwischen den beiden grossen Gemeinden im unteren Fricktal. So mancher Einheimische bekommt bei der Fahrt jeweils ein mulmiges Gefühl, weil in der Nähe des Kreisels zum Industriezubringer seit zwei Jahren leichte Senkungen zu spüren sind. Diese wecken ungute Erinnerungen an den Chlaustag 1986, der in der Region unvergessen bleibt. Denn es war der Tag, als sich die Erde zwischen Rheinfelden und Möhlin auftat.

Landesweite Schlagzeilen
Gegen 10.30 Uhr an jenem Samstag registrierte ein Angestellter der Schweizerischen Rheinsalinen im «Neuland» Risse im Feldweg. Der Mann alarmierte sofort seine Vorgesetzten, die Polizei und die Feuerwehr. «Gemeinsam erlebten die Männer dann, wie sich Risse im Boden auftaten, der Feldweg wankte und schliesslich das Gelände einbrach. Am frühen Samstagnachmittag besichtigten die Gemeindeammänner Molinari und Müller gemeinsam mit Kantonsingenieur Alfred Erne und weiteren Fachleuten das Gelände. Weil sich inzwischen auch Risse in der Kantonsstrasse gebildet hatten, entschlossen sich die Behörden gegen 15 Uhr zur Absperrung der Strasse.» So schilderte die «Fricktaler Zeitung» die Situation an jenem denkwürdigen Tag – und sie vermeldete auch, dass die Bodensenkung die Kurortstafel auseinanderbrechen liess.

Der Vorfall sorgte landesweit für Schlagzeilen. Auch die Neue Zürcher Zeitung berichtete mit Foto über die «Landabsenkung bei Möhlin». Nach gut zwei Wochen konnte die Strasse für den Verkehr wieder geöffnet werden, doch das Terrain blieb noch lange in Bewegung. Die eingestürzte Fläche erreichte das Ausmass von 90 auf 80 Meter, die Trichtertiefe lag bei vier Metern.

Wenn sich die Erde auftut, dann beschäftigt das die Leute. Es hat etwas Archaisches, fast Mythisches. Um solche Geschehnisse wurden früher Sagen gewoben. Doch meistens gibt es eine logische Erklärung.

Doline oder Salzkaverne: Wer ist schuld?
Von Anfang an interessierte die Frage, was die Ursache für diesen Geländeeinsturz war. Das Baudepartement des Kantons Aargau beauftragte deshalb Dr. L. Hauber vom Geologischen Institut der Universität Basel unverzüglich mit der Abklärung der Gründe. Am 20. August 1987 legte Hauber seinen geologischen Bericht vor: «Das Aussehen des Trichters und der Ablauf der Ereignisse entsprachen einem grösseren Karstphänomen. Verkarstungsfähige Gesteine sind im Untergrund vorhanden; ebenso gab es in diesem Gebiet auch früher schon Dolinen. Nun beuten aber die Vereinigten Schweizerischen Rheinsalinen das Salzlager aus; dabei entstehen Laugungskavernen. Eine solche Sole-Produktionsbohrung, die 1984 stillgelegt worden ist, liegt direkt südlich des Einsturztrichters. Es musste deshalb abgeklärt werden, ob eine natürliche Ursache vorhanden ist, oder ob es sich um eine Folge menschlicher Eingriffe handelt», hielt Hauber in seinem Bericht fest.

Um diese Frage zu klären, wurde zwischen März und Juni 1987 auf dem verfüllten Trichter eine Sondierbohrung durchgeführt. Diese hat gezeigt, dass sämtliche Schichtgrenzen bis und mit dem Dach des Salzlagers zu tief angetroffen worden sind. «Das Deckgebirge über dem Salzlager steht unter starken Spannungen, so dass Druck-Entlastungsklüfte entstehen. Hohlräume sind im Deckgebirge nicht angetroffen worden. Es sind auch keine Kernverluste aufgetreten. Solche sind erst direkt über dem Salzlager zu verzeichnen gewesen. Schliesslich muss berücksichtig werden, dass die Kaverne im Juli 1986 undicht geworden war», schreibt Hauber. Für den Laien sind diese Erwägungen wahrscheinlich nicht bis ins Detail verständlich. Deutlich ist aber der Schluss, den Hauber zieht: «Aus all diesen Indizien heraus darf abgeleitet werden, dass der Einsturz vom 6. Dezember 1986 auf das Kollabieren einer Solungskaverne der Saline zurückzuführen ist.» Mit anderen Worten: Der Einsturz ist Folge des Salzabbaus in diesem Gebiet.

Gefährdetes Grundwasser
Bei diesem Vorgang sind gemäss Hauber auch «erhebliche Mengen» Sole aus der Kaverne verdrängt worden und in das umgebende Felsgrundwasser gelangt. Damalige Abschätzungen haben ergeben, dass «eine zusätzliche Chloridbelastung von 200 mg/l Cl möglich ist.» Tatsächlich sind solche Werte im Grundwasser im Filterrohr der Sondierbohrung gemessen worden.

Für die Schweizer Salinen AG, wie die Firma heute heisst, ist dieses Kapitel kein Ruhmesblatt. Das sieht auch Dieter Rebmann, Gesamtleiter Salinen Schweizerhalle, Riburg und Bex, so. Dass die Ursache des Geländeeinsturzes der frühere Salzabbau war, wird anerkannt. Für die Auffüllung des Einsturztrichters und die Sanierung der Strasse haben die Schweizer Salinen rund 1,2 Millionen Franken bezahlt, so Rebmann. Strittig ist jedoch, was der Grund für die Salzbelastung im Grundwasser war. «Die alte Grundwasser-Fassung Wäberhölzli lag im Abstrombereich eines Subrosionsgebietes. Das heisst, als Ursache für die Chloridbelastung kommen mehrere Faktoren, natürliche und künstliche, in Frage», so Rebmann.

Salinen zahlen acht Millionen Franken
Die Grundwasserfassung musste daraufhin geschlossen werden. Um die Wasserversorgung der Stadt langfristig zu sichern, entschloss sich der Stadtrat, das Grundwasservorkommen nordöstlich des vom Salzabbau betroffenen Gebiets zu erschliessen und zwar im Heimenholz. Diesen Standort legte insbesondere auch das Umweltverträglichkeitsgutachten zum neuen Flusskraftwerk nahe. In diesem waren die Strömungsverhältnisse des Grundwassers, der Salzabbau sowie die zahlreichen Altlasten regional detailliert analysiert worden. In all diesen Belangen war das Heimenholz unbedenklich. Die Einwohnergemeindeversammlung vom 12. Dezember 1991 bewilligte für das neue Grundwasserpumpwerk einen Kredit von 13,4 Millionen Franken (inklusive Sanierung Leitungsnetz). Die Kreditabrechnung, die im Dezember 2001 von den Bürgern abgesegnet wurde, belief sich schliesslich auf 11,53 Millionen Franken.

In intensiven Verhandlungen hat die Stadt den Vereinigten Schweizerischen Rheinsalinen eine Entschädigung von acht Millionen Franken abgerungen. Dies als Abgeltung für die 1980 erfolgte Stilllegung der drei Pumpwerke Salinenwald I, Salinenwald II und Wäberhölzli, als Baukostenanteil an das Pumpwerk Heimenholz und als Beitrag an die Massnahmen zur Trennung der Grundwassernutzung von der Salzgewinnung.

Beim heutigen Salzabbau sollte es nicht mehr zu einem solchen Kaverneneinsturz wie damals kommen. «Die Kavernen sind gebirgsmechanisch berechnet und die Drucklaugung mit Blanket ermöglicht ein tragendes Element im Salzdach», schildert Rebmann. Um mögliche Geländesenkungen zu vermeiden, wird seit Jahren Stickstoff in den Laugungshohlraum gepresst, sodass über der Sole ein Gaspolster entsteht (Blanket-Technik). Das Gas verhindert das Ablaugen des darüber liegenden Salzes und somit bleibt ein schützendes Salzdach bestehen.

Trotzdem bleibt bei vielen Einheimischen ein mulmiges Gefühl, wenn sie auf der Autofahrt zwischen Möhlin und Rheinfelden die Bodenwellen bemerken.


Dieser Artikel ist in den Rheinfelder Neujahrsblättern 2019 erschienen.


Salz im Grundwasser

Im Frühjahr 1980 machte die Stadt Rheinfelden eine unerfreuliche Entdeckung: Das Grundwasser, das in den beiden Pumpwerken «Salinenwald I und II» gefördert wurde, war massiv mit Chlorid belastet. Dies hatte zur Folge, dass die Grundwasserpumpwerke «Salinenwald I und II» sowie «Wäberhölzli II» wegen der hohen Salzbelastung stillgelegt werden mussten. In der Folge bezog Rheinfelden die nötigen Wassermengen teilweise aus provisorischen Fassungen von Sondierbohrungen und zum Teil aus externen Fassungen der Brauerei Feldschlösschen sowie der Saline Riburg. Die so geförderte Wassermenge reichte aber nicht aus, um den Spitzenbedarf decken zu können. Deshalb plante die Stadt ein neues Pumpwerk im Heimenholz. 1985 war das Projekt eigentlich abstimmungsreif. Damals wurde jedoch bekannt, dass in der Deponie Karsau auf deutscher Seite grundwassergefährdende Altlasten deponiert waren. Es war zu befürchten, dass durch allfällige Unterströmung des Rheins das geplante Pumpwerk beeinträchtigt werden könnte. Deswegen wurde das Projekt Heimenholz vorerst zurückgestellt.

Nach der spektakulären Landabsenkung im Neuland im Dezember 1986 wurden Färbversuche durchgeführt. Diese zeigten, dass auch das bestehende Grundwasserpumpwerk «Wäberhölzli III» im Einströmbereich der vorhandenen Salzlager im Neuland lag. Im Oktober 1989 gab es hingegen Entwarnung betreffend Deponie Karsau: Untersuchungen zeigten, dass keine Gefährdung der Grundwasserströme im Heimenholz durch die Deponie bestünde. Deswegen war für den Stadtrat klar: Das Gebiet Heimenholz kam als einzig möglicher Standort für ein neues Grundwasserpumpwerk infrage. Im Dezember 1991 bewilligte die Gemeindeversammlung dafür einen Kredit von 13,4 Millionen Franken. (vzu)


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