«Was mache mer?»

  29.12.2018 Magden

43 Jahre war Vroni Lützelschwab Leiterin des ökumenischen Altersnachmittags. Die gelernte Chemielaborantin und ehemalige Vizepräsidentin der Schweizerischen christkatholischen Jugendgruppe ist ein Familienmensch und hat eine grosse soziale Ader.

Clara Rohr-Willers

Jüngst in den Zeitungen war die vierfache Mutter und neunfache Grossmutter Vroni Lützelschwab wegen ihres Abschieds als Leiterin des ökumenischen Altersnachmittags. Zusammen mit jeweils drei Vertreterinnen und Vertretern der christkatholischen, römisch-katholischen und reformierten Kirche organisierte sie von 1975 bis 2018 einen Adventsnachmittag für ältere Menschen. «Was mache mer?» lautete jeweils die erste Frage ans Organisationsteam, denn Offenheit war und ist Vroni Lützelschwabs Devise. «Besonders für Ältere, die keine Grosskinder haben oder deren Grosskinder weit entfernt leben, war unser Adventsnachmittag sehr wichtig», erklärt sie.

«Kindergarten- oder Primarschulklassen besuchten uns und sangen schöne Lieder vor.» Das Strahlen in den Augen von Alt und Jung, sei unbezahlbar. «Die Kinder haben wenig Berührungsängste mit älteren Menschen und sind durch ihre Authentizität unschlagbar.» Aufgrund ihrer Familienherkunft kennt Vroni Lützelschwab sehr viele Einwohner des Dorfes und somit beinahe alle Besucher des Altersnachmittags. «Die Besucherinnen und Besucher schätzten den Austausch mit uns und ich versuchte, bei jedem Tisch vorbeizugehen und mit allen ein Wort zu wechseln.»

«Das Verdingkind war Teil unserer Familie»
975 Einwohner zählte Magden, als Vroni Lützelschwab-Stäubli 1940 zur Welt kam. Ihre Mutter Irma Stäubli-Obrist, Handarbeitslehrerin, entstammte der «Lehrerdynastie Obrist». Schon der Ururururgrossvater Mathias Obrist unterrichtete in Magden Ende des 18. Jahrhunderts.

Als junge Frau verliebte sich Mutter Irma in Vroni Lützelschwabs Vater, den Bauern Hugo Stäubli, der gleich untenan in der Matte 16 wohnte. «Sie sind i de Finke uf Karessieri», schildert Vroni Lützelschwab augenzwinkernd. «Karessieren» vom französischen «caresser» bedeutet «liebäugeln». Der Einbezug von französischen Wörtern ins Schweizerdeutsche war für die Generation von Vroni Lützelschwab so selbstverständlich wie für uns heute die Anglizismen.

«Mir händ`s schön gha», erinnert sich Vroni Lützelschwab an ihre Kindheit. Zusammen mit ihren Eltern, ihrem jüngeren Bruder, dem geschätzten Grosi Marie Obrist und einem Verdingbuben wohnte Vroni in einem Mehrgenerationenhaushalt. «Prägend war für mich die Integration des Verdingkindes, Ernst, in meine Familie. Auch wenn nicht abgestritten werden kann, dass er aufgrund von Schicksalsschlägen seiner leiblichen Familie weggegeben werden und neben seiner Ausbildung auf dem Hof mitanpacken musste, war er Teil unserer Familie und nahm auch in der Freizeit am Familienleben teil. Die Verbundenheit mit ihm und später auch mit seiner eigenen Familie dauerte bis zu seinem Tod an.»

Vroni Lützelschwab und ihr Bruder halfen auf dem Hof mit. Die Arbeiten wurden den Kindern entsprechend angepasst. Wichtig war für Vroni die Mitgliedschaft von Mutter und Grossmutter im Frauenverein Magden, die ihre eigenen ehrenamtlichen Tätigkeiten begründete.

«Märkli» statt Geld
«In der Adventszeit und vor Ostern kümmerten sich Magdener Frauen um Bedürftige und konnten zwar kein Geld, aber zumindest «Märkli» für Milch oder mal ein Brot schenken. «Diesen sozialen Aspekt in der Dorfgemeinschaft habe ich verinnerlicht.» Die materielle Knappheit in der Kriegs- und Nachkriegszeit sei durch Geselligkeit, Liebe und Geborgenheit wettgemacht worden. Auch im Kleinen. «Wenn ein Walzer am Radio lief, forderten sich meine Eltern manchmal spontan in der Küche zum Tanz auf.» Ihre Eltern, beide talentierte Tänzer, nahmen an manch einem der legendären Tanzabende im Saal des Restaurants Sonne teil. So wie Vroni und ihr verstorbener Mann Hans Lützelschwab später ebenfalls.

Vroni Lützelschwab, ein Familienmensch
Nach der Bezirkschule in Rheinfelden absolvierte Vroni Lützelschwab eine Lehre als Chemielaborantin bei der Henkel & Cie. AG in Pratteln. Als Vizepräsidentin der Schweizerischen christkatholischen Jugendgruppe lernte sie ihren zukünftigen Mann kennen, Hans Lützelschwab. Von Vater August Lützelschwab übernahm Hans später die Möhliner Zimmerei Lützelschwab. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 gegründet, ist die Zimmerei Holzbau Lützelschwab AG heute in den Händen von den beiden Söhnen Urs und Markus Lützelschwab in der dritten Generation.

Seit rund einem halben Jahrhundert wohnt sie im Haus an der Matte 28, das sie mit ihrem Mann Hans für sich und die vier Kinder gebaut hat. Daneben liebte und pflegte sie ihren Garten mit vielerlei Arten von Gemüse, Früchten und einer Blumenpracht. «Unser Haus war immer ein offenes Haus, so wie schon bei meinen Eltern. Heute sind es insbesondere meine neun Enkel und Enkelinnen, die mich an ihrem Leben teilhaben lassen und mir viel bedeuten.»

Wanted: Junge und Mittelalte in Ehrenämtern!
Warum war der ökumenische Adventsnachmittag am 6. Dezember 2018 der letzte in dieser Art? Gerade in den heutigen Zeiten, in denen hemmungslos polarisiert, angefeindet und ausgegrenzt wird, zählen ökumenische Aktionen mehr denn je. «Es fehlt an Euch, Mittelalten und Jungen», antwortet die charismatische Magdenerin. «Aber wenn wir jüngere Menschen wegen eines Ehrenamtes ansprechen, wird meist auf die anstrengende Berufsarbeit hingewiesen, die kein Ehrenamt zulasse.»

Welche Folgen der Rückgang in ehrenamtlichen Tätigkeiten auf die Gesellschaft hat, wird sich in den nächsten Jahrzehnten zeigen. Fact ist: Generationenübergreifende Gespräche geben Identität. Engagement und gegenseitige Hilfe machen zufrieden. Sei es in der eigenen Familie, einer grösseren sozialen Gruppe oder einem Verein.


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote