«50 Prozent der Berufsbeistände leiden unter gesundheitlichen Beeinträchtigungen»

  09.12.2018 Fricktal

Ignaz Heim aus Gipf-Oberfrick setzt sich für eine Entlastung ein

Die Schweizerische Vereinigung der Berufsbeistände (SVBB) fordert, dass im Kindesschutz genügend Ressourcen für die Fachausbildung zur Verfügung stehen und Berufsbeiständen bei einem 100 Prozent-Pensum nicht mehr als 50 Kindesschutzmandate zugeteilt werden.

Simone Rufli

Ignaz Heim aus Gipf-Oberfrick ist Präsident der SVBB. Die NFZ wollte von ihm wissen, wie die Chancen stehen, dass diese Forderung erfüllt wird und – falls das nicht sofort der Fall ist – ob unter den gegebenen Voraussetzungen das Kindeswohl tatsächlich im Zentrum stehen kann.

NFZ: Herr Heim, weshalb fordern Sie genau 50 Mandate?
Ignaz Heim:
Diese Zahl leitet sich aus der Empfehlung der regierungsrätlichen Konferenz der Kantone für den Kindes- und Erwachsenenschutz (KO-KES) ab. Da werden für eine Vollzeitstelle generell 75 Mandate im Erwachsenenschutz empfohlen. Da im Kindesschutz mehr Zeit in die direkte Arbeit mit den betroffenen Eltern und Kindern und für Abklärungen aufzuwenden ist, ist eine Berufsbeiständin im Kindesschutz bereits mit 50 Mandaten am Limit.

An der Netzwerkveranstaltung Kindesschutz von Ende November in Laufenburg wurde erwähnt, dass Berufsbeistände heute vielerorts für deutlich mehr als 50 Mandate verantwortlich sind. In welchem Bereich bewegen sich denn die durchschnittlichen Mandatszahlen?
Es können gut und gerne 70 bis 80 und in Einzelfällen bis 100 Mandate sein. Bei der Jugend- und Familienberatung in Laufenburg nicht. Dort führen die Mitarbeitenden nicht nur Kindesschutzmandate. Sie leisten einen erweiterten Kindesschutz: Wenn es die Schwere der Kindswohlgefährdung erlaubt, beraten sie die Eltern, auch im Verbund mit anderen Fachstellen. Dadurch wurde die Zahl der Beistandschaften für Kinder im Laufe der letzten Jahre kontinuierlich reduziert und Kapazität für die Beratung erhöht.

Berufsbeistände treten in der Regel in einer Phase der Eskalation ins Geschehen ein. Da geht es doch darum ein Vertrauensverhältnis zu Kindern oder Jugendlichen aufzubauen und die Eltern vom Sinn der gemeinsamen Arbeit zu überzeugen. Das sind Dinge, die Zeit brauchen. Wie lässt sich eine zu hohe Mandatszahl mit der Aussage in Einklang bringen, dass das Kindeswohl im Zentrum steht?
Das Kindswohl steht immer im Zentrum. Eine zu hohe Mandatszahl schränkt aber die Möglichkeiten für eine Beratung ein. Es bleibt weniger Zeit für persönliche Gespräche mit Eltern und Kindern. Die Beratung hat ja zum Ziel, die Eltern und Kinder zu stärken und in der schwierigen Zeit zu entlasten. Und unter Überlast – das darf man nicht vergessen – leidet das Vermögen der Beratenden zur Gelassenheit, gerade in Momenten, wenn die Belastung der Familie gross ist.

Berufsbeistände sollten auch Kenntnisse in Mediation, in Entwicklungspsychologie und in Pädagogik mitbringen, geduldig und einfühlsam, konsequent und beharrlich sein. Hängt die Überbelastung der Beistände auch damit zusammen, dass es schwer ist, genügend Leute für diese anspruchsvolle und nicht immer dankbare Arbeit zu finden?
Der Arbeitsmarkt ist in der Tat ausgetrocknet. Eine von der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Kesb empfohlene oder angeordnete Beratung und die Führung von gesetzlichen Kindesschutzmandaten erfordert natürlich auch entsprechend qualifizierte Sozialarbeitende. Ein Dienst, der die empfohlene Mandatszahl einhält und auch Weiterbildungsmöglichkeiten bietet, erhält eindeutig eher Bewerbungen von qualifizierten Personen. Denn wer Berufsbeistand werden will, ist beharrlich und bewirbt sich auch.

Man hört auch immer wieder davon, dass Berufsbeistände an Burnout leiden...
Leider hat unsere Umfrage unter 800 Berufsbeiständen und Berufsbeiständinnen im 2016 ergeben, dass 50 Prozent unter leichten bis schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen leiden. Dies ist alarmierend und weist darauf hin, dass in den Diensten der Arbeitsbelastung und weiteren Faktoren, wie Weiterbildungsmöglichkeiten und Qualitätsentwicklung, unbedingt mehr Beachtung geschenkt werden sollte.

Wer entscheidet eigentlich darüber, wie viele Mandate ein Berufsbeistand übernehmen darf?
Jeder Dienst hat einen Leistungsauftrag und übernimmt in der Regel alle Mandate, die von der Kesb in der zugewiesenen Region errichtet werden. Die Anzahl Mandate pro Berufsbeistand wird deshalb vom bestehenden Stellenetat bestimmt. Letztlich bestimmt die Politik die Anzahl Mandate pro Beistand über die bewilligten Mittel für das Personal, also die Anzahl Stellen.

Welche Chancen rechnen Sie sich aus, dass der Forderung der SVBB nachgekommen wird?
Die SVBB ist verhalten optimistisch. Die Öffentlichkeit erkennt je länger je mehr den wertvollen Beitrag der Berufsbeiständinnen und Berufsbeistände für die Betroffenen in der Gesellschaft. Es sind rund 1,5 Prozent der Erwachsenen und 2,5 Prozent der Kinder und Jugendlichen. Damit steigen auch die Erwartungen an diese engagierten Fachpersonen und damit hoffentlich auch die Bereitschaft, die nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen, die für eine hohe Arbeitsqualität notwendig sind.


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