«Hinter jedem Auftrag steht ein Schicksal»

  14.11.2018 Rheinfelden

Zu seinem Beruf kam er per Zufall: Der 54-jährige Othmar Höfler aus Rheinfelden reinigt Leichenfundorte. Es kommt immer wieder vor, dass ältere Menschen während Monaten tot in ihren Wohnungen liegen – unbemerkt von allen. Das gibt ihm zu denken.

Valentin Zumsteg

An seinen ersten Auftrag kann sich Othmar Höfler noch gut erinnern. Das war vor drei Jahren. «Wir mussten die Wohnung eines Mannes reinigen und desinfizieren, der eine ansteckende Krankheit hatte und an einem Blutsturz gestorben war. Das vergesse ich nie mehr. Die ganze Wohnung war voller Blut. Es brauchte viel Arbeit, um sie wieder bewohnbar zu machen», erzählt der 54-Jährige. Traurig stimmt ihn das Schicksal einer älteren Dame, die nach ihrem Tod während 15 Monaten unbemerkt in ihrer Wohnung lag. «Das gibt es immer wieder. Diese Menschen müssen sehr einsam gewesen sein.» In einem solchen Fall reicht eine normale Reinigung nicht. Da muss der Boden teilweise herausgerissen und der Verputz ersetzt werden, sonst bleibt der Verwesungsgeruch hängen.

«Das beschäftigt mich»
«Hinter jedem Auftrag steht ein Schicksal. Das beschäftigt mich. Ich kann das nicht komplett ausblenden», sagt Höfler. Diese Arbeit ist nichts für sensible Gemüter, trotzdem geht es nicht ohne Einfühlungsvermögen und Sensibilität. Immer wieder wird er aufgeboten, um Wohnungen nach einem Suizid zu reinigen. «Manchmal kommt es vor, dass ich Kontakt mit den Hinterbliebenen habe. Dann werde ich ein bisschen zum Seelsorger.» Aus Erfahrung weiss er, dass die Fälle von Suizid in der dunklen Jahreszeit deutlich zunehmen.

Wie verarbeitet er selber die belastenden Erlebnisse, die zu seiner Arbeit gehören? «Ich rede viel mit meiner Partnerin darüber. Manchmal machen wir ein verlängertes Wochenende und verreisen, um abzuschalten. Das tut gut und dient der Psychohygiene.» Um diesen Beruf ausüben zu können, brauche es eine stabile Gesundheit: «Wenn man eine Maske tragen muss, dann ist die Arbeit sehr anstrengend.» Ebenso nötig seien eine stabile Psyche und eine gewisse Reife sowie Lebenserfahrung.

«Ich dachte, das sei nichts für mich»
Othmar Höfler, der im St. Galler Rheintal sowie in Zürich aufgewachsen ist und seit drei Jahren in Rheinfelden lebt, kam durch Zufall zu seinem Job. Ursprünglich lernte er Elektromechaniker. Später arbeitete er als Aufzugsmonteur und Servicetechniker für Filteranlagen. Er, der gerne reist, war weltweit auf Montage. Dann kam der Schock: «Vor drei Jahren wurde meine Stelle nach China wegrationalisiert.» Da war er 51 Jahre alt und plötzlich auf Stellensuche. «Ich habe über 200 Bewerbungen geschrieben, doch nur Absagen erhalten. Zu alt, zu teuer. Ich ging aber nie stempeln. Ich will dem Staat nicht auf der Tasche liegen, auch wenn ich während Jahren in die Arbeitslosenversicherung einbezahlt habe. Ich bin eher der Typ, der die Ärmel hochkrempelt und anpackt.»

Der Schwiegersohn seiner Partnerin, der bereits als Tatortreiniger arbeitete, nahm ihn damals mit zu einem Auftrag. «Ich dachte vorher, das sei nichts für mich. Doch die Aufgabe hat mich schnell fasziniert.» So stieg er in diese Branche ein und machte sich selbständig. Mit dem Schwiegersohn arbeitet er regelmässig zusammen – sie stellen gegenseitig auch die Ferienablösung sicher. Aufträge erhält er aus der ganzen Deutschschweiz.

«Zwei verschiedene Arten von Messies»
Othmar Höfler reinigt aber nicht nur Leichenfundorte, er räumt und säubert ebenso Messiewohnungen. Das komme häufiger vor, als man denke. «Es gibt zwei Arten von Messies: Die einen sind ordentlich und horten einfach alles. Zum Beispiel die Zeitungen der letzten Jahrzehnte, aber auch Tetrapackungen und noch vieles mehr. Alles wird aufgestapelt, bis es in der Wohnung fast keinen Platz mehr zum Leben gibt.» In einem solchen Fall sei das Räumen relativ einfach, wenn die Betroffenen einverstanden sind. «Auf der anderen Seite gibt es die chaotischen Messies. Bei ihnen liegt alles wild durcheinander in der Wohnung. Da stösst man schon mal auf Fäkalien, Mäuse und Lebensmittelreste, die verrotten. Das ist manchmal schlimmer als ein Leichenfundort.» Höfler erinnert sich an einen Auftrag, bei dem er Dutzende von Kubikmetern Abfall aus einem Haus räumen musste. «Wir waren zu viert eine Woche lang beschäftigt.»

Wie viel er mit seiner – teilweise sehr unangenehmen – Arbeit verdient, darüber gibt Höfler offen Auskunft: «Ich verlange pro Stunde ohne Schutzanzug 80 Franken. Eine Stunde mit Schutzanzug kostet 280 Franken.»

Hat ihn die Arbeit verändert, ist er durch sie ein anderer Mensch geworden? «Ich sage heute zu meinen Freunden immer: tragt Sorge zu euch. Und ich meine es ernst. Es kann so schnell etwas passieren.» Die Arbeit hat ihn nicht abgestumpft – im Gegenteil.


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