GLOSSE

  02.11.2018 Kolumne

Wehe, wenn sie losgelassen...

«Bunt sind schon die Wälder, gelb die Stoppelfelder und der Herbst beginnt. Rote Blätter fallen, graue Nebel wallen, Laubbläser hallen, kühler weht der Wind.» Johann Gaudenz Freiherr von Salis-Seewis möge mir den Eingriff in sein «Herbstlied» verzeihen. Doch ich bin mir sicher: Hätte es diese lärmenden Geräte anno 1782 schon gegeben, der Bündner Dichter hätte sie in seinem Volkslied, das er in jenem Jahr in Paris geschrieben hat, sicher nicht verschwiegen. Ganz gewiss hätte er, der als Offizier in der Schweizer Garde in Paris diente, ein paar Jahre später in den Herren Wieland, Goethe, Schiller und Herder Verbündete gefunden im Kampf gegen die motorisierten Herbst-Stimmungs-Vernichter. Diese Dichterkollegen nämlich hat er (gemäss Wikipedia) während einer Deutschlandreise anno 1789/90 angetroffen. Man stelle sich vor wie diese Virtuosen der deutschen Sprache und Dichtkunst – angestachelt durch die gewaltbereite Stimmung rund um die französische Revolution – bewaffnet mit Laubrechen wunderschön reimende Parolen skandierend durch die Strassen gezogen wären. Nur gehört worden wären sie wohl nicht. Denn hätte es damals schon solche Laubbläser gegeben, dann hätte es auch die dazugehörigen Funk-Kopfhörer schon gegeben. Ich frage mich manchmal, ob es richtig ist, dass sie nur von jenen getragen werden, die den Laubbläser bedienen... Egal. Johann Gaudenz Freiherr von Salis-Seewis hätte nicht aufgegeben und rund 20 Jahre nachdem er das Volkslied geschrieben hat, hätte er die Laubbläser und mit ihnen den Lärm aus dem Herbst-Alltag verbannt. Was mich da so sicher macht? Des Freiherrn Weg in die Legislative, nachdem er anno 1793 in die Schweiz zurückgekehrt war. 1801 wurde er Mitglied des Gesetzgebenden Rates in Bern, ab 1803 gehörte er dem obersten Gerichtshof an. Ab diesem Zeitpunkt – so stelle ich mir das vor – wären Laubbläser definitiv verboten gewesen. «Bunt sind schon die Wälder, gelb die Stoppelfelder und der Herbst beginnt. Rote Blätter fallen, graue Nebel wallen, kühler weht der Wind.»

SIMONE RUFLI


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