«Es ist schockierend»

  26.10.2018 Fricktal, Mettau

Die Summe der durch Wildtiere im Kanton Aargau verursachten Schäden beläuft sich in diesem Jahr bereits auf 800 000 Franken. Für den Grossteil sind Wildschweine verantwortlich. Das Fricktal ist stark betroffen.

Bernadette Zaniolo

Sonntagmorgen auf dem Mettauerberg. Die Farben des Herbstes leuchten und der Nebel verzieht sich. Doch plötzlich ein Bild des Schreckens. «Das habe ich noch nie erlebt», beschreibt Dora Seiler, die über 50 Jahre zur Jagd ging, den Anblick. Dort in der an den Wald angrenzenden Wiese haben Wildschweine ein grosses Stück Wiesland massiv verwüstet. Die Wiese ist an einen Bauern aus Gansingen verpachtet. Nur wenige Meter oberhalb, in einer anderen Wiese mit Obstbäumen, ein ähnliches Bild. In der Ecke ein Hochsitz. «Hallo, schlafen da die Jäger», heisst es dann mal schnell. Die Äusserung kommt jedoch nicht von den vom Schaden betroffenen Bauern. Es sei zwar ärgerlich, aber man wolle nicht jammern, so ein Bauer aus Mettau. Er ist sich bewusst, dass wenn die Wiese oder der Acker an zwei oder gar drei Seiten an Wald grenzt, die Gefahr grösser ist. Zudem ist das Schadensausmass für die betroffenen Landeigentümer in den letzten Jahren gestiegen. Denn im Zuge der Güterregulierung entstanden grössere Parzellen.

«Ich habe durchaus Verständnis, dass die Bauern mehr Jagd fordern», sagt Urs Ipser, Obmann der Jagdgesellschaft Stutz. Doch beide Seiten wissen, dass die «Sauen» sehr intelligent sind. Das bestätigt auch Hans Fischer. Er ist im Revier «Stutz» für die Jagdorganisation zuständig. Nach der Verwüstung der Wiese auf dem Mettauerberg sassen dort über mehrere Nächte immer drei Jäger an. Jedoch ohne Erfolg, beziehungsweise ohne dass sich eine Wildsau blicken liess. Im letzten Jahr wurden in dem zirka 1300 Hektaren grossen Revier «Stutz» (der Löwenanteil ist Wiesen und Felder) 40 Wildschweine geschossen. «Wir können jedoch nicht 24 Stunden am Tag ansitzen», sagt Urs Ipser weiter. Denn von den acht Pächtern seien einige auch noch berufstätig.

Grosses Nahrungsangebot
«Wir waren schockiert», schildert Bruno Stäuble aus Sulz, einer der vier kantonalen Wildschadenexperten, die letzte Zusammenkunft. Schockiert hat sie die Zwischenbilanz der diesjährigen Schadenssumme. Auch wenn sich die Summe nicht mehr gross nach oben bewegen dürfte, liegt diese laut Reto Fischer, Fachspezialist in der Sektion Jagd und Fischerei der Abteilung Wald des Kantons Aargau, bei 800 000 Franken. Dies entspricht dem Stand von 2013 und dürfte somit ein neuer Rekord werden. Ein Rekord, denn wohl niemand anstrebt.


Wildschweine sind saumässig fruchtbar

Die jährliche Vermehrung beträgt bis zu 300 Prozent

Die Feuchtigkeit zieht die Wildschweine regelrecht zur «Genussstrasse» von tierischem Eiweiss. Dort «durchpflügen» sie Wiesen und Äcker und hinterlassen ein Bild der Verwüstung und verursachen grosse Schäden.

Bernadette Zaniolo

«Die Wildsau ist ein Allesfresser», verrät Urs Ipser, Obmann der Jagdgesellschaft Stutz (im Mettauertal). Die Hitze und das gute Nahrungsangebot (Eicheln und Buchennüsse) im Wald sorgten dafür, dass sich die Wildschweine im Sommer mehrheitlich im Wald aufhielten. Deshalb gab es fast keine Schäden. Der grösste Teil der Schäden ist denn auch im Frühling und jetzt mit Beginn des Herbstes entstanden. Die Feuchtigkeit zieht die Wildschweine regelrecht zur «Genussstrasse» von tierischem Eiweiss. Quasi das Oktoberfest oder mehr die «Wies’n» für die Wildschweine. Dort finden sie ihre Leckereien wie Würmer, Larven, Mäuse und mehr. «Sie brauchen das tierische Eiweiss» verrät Urs Ipser. Dies etwa zur Ansammlung von Fett. So werden die Sauen gross und stark beziehungsweise robust.

Die rasante Vermehrung
Das gute Nahrungsangebot wirkt sich stark auf die Vermehrung aus. Früher hatten die «Bachen» (weibliche Sauen) einmal im Jahr Junge (Frischlinge). Ist jedoch der Winter mild und das Nahrungsangebot gross, so kommt es vor, dass die Wildschweine zwei Mal im Jahr Frischlinge haben und die früh im Frühjahr zur Welt gekommenen Frischlinge bereits im Dezember selber «Jugend» haben.

Das führt zu immer grösseren Rotten (Stammesverbänden). Und: Wehe, wenn sie losgelassen werden beziehungsweise zu ihrer Party auf der Genussstrasse ausserhalb des Waldes blasen.

Neue Wege
Die Wildschweinjagd ist besonders anspruchsvoll und zeitraubend. Zudem ist die Fortpflanzungsleistung der Wildschweine enorm (bei optimalen Bedingungen fast 300 Prozent) und wird durch das grosse Nahrungsangebot in Wald und Feld «und durch die Klimaerwärmung gefördert», wie es in einer Mitteilung des Kantons heisst. Der Ruf nach dem Einsatz von Nachtsichtgeräten und von Wärmebildkameras – so wie es teils in anderen Ländern erlaubt ist – wird immer grösser.

Gemäss Urs Ipser ist der Einsatz von solchen Geräten im Aargau grösstenteils verboten. Es gibt jedoch Ausnahmen. Auf Antrag könne der Kanton eine Bewilligung erteilen. Dieser stellt die Geräte auch zur Verfügung. Die Jäger könnten solche auch selber anschaffen, sie seien jedoch teuer. Und selbst dann braucht es eine Bewilligung vom Kanton. Diese bekomme man, wenn in gewissen Gebieten wieder mehr Schäden sind beziehungsweise in die entsprechende Schaden-Stufe eingeteilt werde.

Doch seit längerem wird vonseiten der Jäger gefordert, dass hier eine Lockerung der gesetzlichen Bestimmungen erfolgt. Wie ein Jäger aus einem angrenzenden Revier gegenüber der NFZ sagte, sei diesbezüglich nun etwas «im Gang».

Eigentlich wäre es jedoch ganz einfach, findet die Redaktorin: Man erfindet die Pille für die Wildsau… und mischt diese in eine «Paella» aus Eicheln, Buchennüssen, Würmern und weiteren Zutaten. Aber aufgepasst bei der Dossierung beziehungsweise Dezimierung, denn Wildschweine bereichern unsere Wälder und die einheimische Artenvielfalt.

Übrigens: Auch die Schäden durch Dachse (in Maisfeldern) nehmen zu.


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