Neue Technologien für die Landwirtschaft

  16.09.2018 Fricktal

Interview mit Regina Ammann, Leiterin External und Public Affairs Schweiz von Syngenta

Regina Ammann von Syngenta wird sich am Wirtschaftsforum Fricktal der Frage widmen:
«Kann Technologie die Welt ernähren?» Im Interview mit der NFZ erzählt sie, welchenEinfluss die Digitalisierung auf ihr Leben hat und wie China und die neuen chinesischen Besitzer Syngenta beeinflussen.

Walter Herzog

NFZ: Regina Ammann, wie gut kennen Sie das Fricktal?
Regina Ammann:
Schon früher, als ich in Aarau im Firmenkundengeschäft einer Bank tätig war, durfte ich einige Kunden im Fricktal betreuen – und kam immer gerne in die Sonnenstube des Aargaus. Heute ist das Fricktal für mich noch wichtiger geworden: Die LifeScience-Branche ist hier äusserst stark vertreten und Syngenta hat selber drei Standorte hier.

Das Thema des diesjährigen Wirtschaftsforums Fricktal lautet Digitalisierung. Welchen konkreten Einfluss hat die Digitalisierung bei Syngenta bereits heute?
Digitalisierung hilft zunächst einmal bei der internen Vernetzung. Syngenta ist in 90 Ländern mit 28 000 Mitarbeitenden aktiv, davon sind 5000 in der Forschung und Entwicklung tätig. Mit der Nutzung der digitalen Techniken lassen sich auch Zeit und Kosten sparen. Ein Beispiel: Wenn wir komplette virtuelle Pflanzenmodelle nutzen, um beispielsweise die Wirkung neuer Moleküle zu simulieren oder neue Sorten zu entwickeln, beschleunigt dies den Forschungsprozess. Dies ist ein Riesenvorteil, heisst aber, dass wir zunehmend auch Mathematiker beschäftigen – nur ein Beispiel, wie die Digitalisierung auch die beruflichen Anforderungen beeinflusst.

Welche weiteren Entwicklungen erwarten Sie in Zukunft?
Die Nach- und Rückverfolgbarkeit ist ein Anspruch, dem sich auch die Landwirtschaft stellen muss. Die Daten und Protokolle sollen auch zur Information der nachgelagerten Wertschöpfungskette – verarbeitende Industrie, Handel – bis zum Konsumenten dienen. Mit diesen farmerzeugten Daten kann der Landwirt die Versicherung abgeben, dass seine Produkte nachhaltig produziert wurden – eine grosse Chance für Grossbetriebe wie Kleinbauern wo auch immer auf der Welt.

«Digital Farming» ist daher nicht auf den Landwirtschaftsbetrieb beschränkt, sondern erstreckt sich zunehmend über die ganze Wertschöpfungskette: vom einzelnen Hilfsmittel (GPS-gesteuerter Traktor) über einfachere digitale Unterstützung (Wetter-App, Produktinformationen, SMS-Services) zu verschiedensten Spielarten von Präzisisionslandwirtschaft (Precision farming) mittels Drohnen oder Maschinen, die Krankheiten auf Pflanzen erkennen und nur die befallenen Pflanzen behandeln. Dann von Warnsystemen für Trockenheit oder Schädlingsbefall zu integrierten Anbausupport-Systemen, die mehrere dieser Technologien vereinen und Daten vernetzen.

Was bewirkt die Digitalisierung bei Ihnen persönlich?
Die digitale Unterstützung erlaubt mir Arbeiten und Datenzugriff von fast überall her; das gibt die nötige Flexibilität bei der Arbeitsgestaltung. Das Teilen von Wissen ist viel einfacher geworden, aber auch die Interaktion untereinander ist quasi hürden- und hierarchielos geworden. Daher braucht es im Arbeitsteam wie in der Gesellschaft neue Spielregeln zur Handhabung von Informationen, aber auch zum Umgang miteinander.

Der Titel Ihres Referates lautet:
«Kann Technologie die Welt ernähren?» Verraten Sie uns schon heute, ob und inwiefern dies möglich ist?

Technologien ermöglichen bessere Lösungen für Landwirte, um ihre Produktivität, Profitabilität und die Ressourceneffizienz zu steigern und damit einen Beitrag zur weltweiten Ernährungssicherheit zu leisten. Der Zugang zu Technologie wird gerade in den Entwicklungsländern entscheidend sein, auch um den Beruf «Landwirt» oder «Bäuerin» attraktiv für die kommenden Generationen zu machen und Landflucht zu verhindern. Wissenschaftliche und technologische Innovation ist also ein wesentlicher Schlüssel, um die Ernährungssicherheit für eine rasch wachsende Weltbevölkerung auf nachhaltige Art und Weise zu gewährleisten. Aber es herrscht derzeit keine Einigkeit, was «Nachhaltigkeit» in Bezug auf Lebensmittelproduktion und Technologien heisst. Landwirtschaft soll sichere und nährstoffreiche Nahrungsmittel zu einem erschwinglichen Preis herstellen. Soweit sind sich die meisten einig. Niemand sagt den Landwirten aber, wie sie mit Zielkonflikten umgehen sollen. Die Landwirtschaft verbraucht heute 70 Prozent des weltweit zur Verfügung stehenden Süsswassers und trägt auch zur Entstehung der globalen Treibhausgasemissionen bei. Technologien wie moderne Züchtungsmethoden können wassersparende Pflanzen erzeugen und Pflanzenbau mit Herbizideinsatz statt Pflügen hilft das CO2 in der Erde zu speichern statt an die Atmosphäre abzugeben. In meinem Referat möchte ich daher auch diskutieren, wie das Vertrauen der Gesellschaft in den Agrarsektor und in landwirtschaftliche Innovationen wachsen kann.

Welche weiteren Fortschritte in der Nahrungsproduktion erwarten uns?
Alternative Eiweissquellen sind nur ein Beispiel: Algen, Insekten, Hamburger aus dem Labor, die wie echtes Fleisch schmecken. Oder ganz neue Formen von bodenunabhängigem Pflanzenbau – Indoor Farming im kleinen Schrank zuhause oder Vertical Farming in grossen Anlagen. Auch bei diesen Möglichkeiten stellt sich neben der technischen Machbarkeit und vor allem Skalierbarkeit die Frage der gesellschaftlichen Akzeptanz. Ich wünsche uns hier Neugier und die Lust am Ausprobieren – sowie auch hier eine offene Diskussion über die Vor- und Nachteile solcher Systeme.

In Stein im Fricktal hat Syngenta Chemie, Biologie, Saatgut und Saatgutbehandlung an einem Standort vereint. Wie wichtig ist der Standort Stein für die Syngenta-Gruppe?
Stein ist einer der drei weltweit wichtigsten Standorte bezüglich Pflanzenschutzforschung und arbeitet eng mit den Syngenta-Standorten Jealott’s Hill in Grossbritannien und Goa in Indien zusammen. Für Wirkstoffe, die in Stein gefunden und getestet werden, wird in Münchwilen AG die richtige Formulierung entwickelt, damit der Pflanzenschutz sicher, gezielt und in der richtigen Dosierung durch den Landwirt appliziert werden kann. Und in den Produktionswerken in Kaisten, ebenfalls im Fricktal, sowie in Monthey, im Wallis, werden dann die grossen Mengen für den Export hergestellt.

Wird die Bedeutung von Syngenta Stein in Zukunft eher zu- oder abnehmen?
Stein ist innerhalb von Syngenta hervorragend positioniert. Dies auch dank der erst vor kurzem gebauten modernsten Treibhäusern und Klimakammern, die jedes Klima auf der Welt simulieren können. Denn neben der Entdeckung und biologischen Charakterisierung neuer Wirkstoffe gegen Insekten, Pilze und Fadenwürmer wird in Stein auch der positive Effekt chemischer Lösungen auf Pflanzen unter abiotischem Stress wie Hitze oder Wassermangel untersucht. Dieser Bereich wird vor dem Hintergrund rasch ändernder Umweltbedingungen immer wichtiger.

Das Unternehmen Syngenta ist seit einigen Monaten in chinesischem Besitz, was hat sich seither verändert?
Die Übernahme zielt auf Wachstum und langfristige Investitionen ab und anerkennt den enormen Wert unseres Unternehmens: unsere Innovationen, die breite Marktpräsenz und die Kompetenzen der Mitarbeitenden. Auf der operativen Ebene hat sich nichts verändert, hingegen konnten wir bereits einige strategische Akquisitionen tätigen. Wir sind sehr froh über unsere langfristig orienterten Eigentümer, die auch bereit sind, weiter ins Unternehmen zu investieren.

Wird in Stein nun auch vermehrt chinesisch gesprochen? Lernen Sie chinesisch?
Syngenta ist ein Unternehmen mit globalem Fokus und Sitz in der Schweiz. Unsere Konzernsprache ist Englisch. Auch an unserem Forschungsstandort in Stein arbeiten verschiedenste Nationalitäten und man hört allerhand Sprachen, Chinesisch ist aber nur selten zu hören. Wir haben in Bejing bereits vor ein paar Jahren ein Research and Innovation Center aufgebaut – gut möglich, dass der Austausch in den nächsten Jahren enger werden wird. Ich habe mir das Ziel gesetzt, zumindest ein paar Standardsätze in Chinesisch zu lernen und treffe mich zu diesem Zweck mit einer chinesischen Kollegin in Basel unregelmässig zum Lunch. Richtig ins Ohr bekommen werde ich die Sprache aber wohl erst, wenn ich sie regelmässig brauche.

Was können wir von den Chinesen lernen? Was die Chinesen von uns?
Mich beeindruckt das strategische und langfristige Denken. Für ein Unternehmen wie Syngenta, dessen Produkte von der Erforschung bis zur Lancierung im Markt auch wegen strenger Regulierung etwa 10 Jahre benötigen, hat dieser langfristige Horizont enorme Vorteile. Für China ist die eigene wie die globale Landwirtschaft eines der strategisch wichtigen Investitionsfelder der nächsten Jahre. Nach Überzeugung unseres Eigentümers ist eine Steigerung der Ernteerträge durch ressourcenschonende Nutzung der Böden und knapper Rohstoffe unabdingbar, um den Interessen von Landwirten und Verbrauchern weltweit bestmöglich zu entsprechen. Die Innovations- und Adaptionsfähigkeit nicht nur von Syngenta, sondern von vielen westlichen Firmen wird in China positiv vermerkt. Schweizer Qualität wird oft als Massstab genannt.


Wer ist Syngenta?

Syngenta ist weltweit einer der grössten Konzerne im Agrargeschäft. Das Unternehmen ist global tätig, forscht und produziert auch im Fricktal und hat den Hauptsitz in Basel. Das Unternehmen ist in der Sparte chemische Pflanzenschutzmittel (Fungizide, Herbizide, Insektizide: Syngenta Crop Protection) Marktführer und in der Sparte «kommerzielles Saatgut» (Mais, Soja, Sonnenblumen, Raps, Zuckerrüben, Getreide: Syngenta Seeds) auf Platz drei. Der Umsatz 2017 betrug rund 13 Milliarden Franken. Syngenta beschäftigt derzeit 28 000 Mitarbeiter in über 90 Ländern. Im Fricktal ist Syngenta an drei Standorten mit insgesamt über 600 Mitarbeitern tätig: Das Forschungszentrum Stein gehört zu den drei wichtigsten globalen Standorten für die Forschung und Entwicklung. Zur Hauptaufgabe im Werk Münchwilen gehört die integrierte Entwicklung chemischer Prozesse und Produkte. In Kaisten steht eines der Produktionswerke für den Geschäftsbereich Production & Supply. Syngenta wurde im Jahr 2017 vom chinesischen Unternehmen ChemChina übernommen. (nfz)


Wirtschaftsforum Fricktal

Das Wirtschaftsforum Fricktal, eine Veranstaltung des Fricktal Regio Planungsverbands, beschäftigt sich dieses Jahr mit der Digitalisierung. Regina Ammann wird einen Vortrag über das Thema: «Kann die Technologie die Welt ernähren?» halten. Das Forum findet am 20. September bei der Syngenta in Stein statt. Sämtliche Plätze sind bereits ausgebucht.


Regina Ammann

Regina Ammann ist ausgebildete Juristin der Universität Zürich mit einem Executive MBA in Unternehmensführung der Universität St. Gallen. Sie leitet bei Syngenta den Bereich External and Public Affairs Schweiz. Dabei ist sie zuständig für die Beziehungen der Firma zu Behörden und Politik, Verbänden, Nichtregierungsorganisationen sowie Universitäten und Forschungsinstitutionen. In dieser Funktion ist sie Mitglied verschiedenster Kommissionen und Arbeitsgruppen wie zum Beispiel des schweizerischen FAO-Komitees.


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