«Auch das Schöne muss sterben»

  18.09.2018 Frick

Der Fricktaler Kammerchor verabschiedete sich von seinem Publikum

Was vor genau 50 Jahren in Eiken und in Frick begonnen hatte, endete nun unwiderruflich in der katholischen Kirche in Frick.

Dieter Deiss

Nach Aufführungen in der Stadtkirche Lenzburg und in der Klosterkirche Wettingen trat der Kammerchor Fricktal in der Fricker Kirche mit seinem 222. Konzert ein letztes Mal an die Öffentlichkeit. Auch in diesem letzten Konzert gab es keine Halbheiten. Um es gleich vorweg zu nehmen, trotz des Jubiläums und Abschieds gab es keinerlei Feierlichkeiten mit Ehrungen und dergleichen.

Letzter Gang ans Dirigentenpult
Und doch spürte man von Beginn weg förmlich, dass es halt nicht ein ganz gewöhnliches Konzert war. Der Chor stellte sich auf, das Kammerorchester stimmte die Instrumente. Durch die Reihen der Sänger hindurch trat mit einem sanften Lächeln und einer dicken Notenmappe unter dem Arm Dirigent Urs Stäuble hervor. Männiglich wusste, heute ist es das letzte Mal, dass er vor seinem Kammerchor ans Dirigentenpult schreitet. Wie musste wohl den Sängerinnen und Sängern zumute sein? Viele von ihnen hatten ja über Jahre hinweg ihren Dirigenten durch Dick und Dünn begleitet. Dies soll jetzt endgültig fertig sein?

Urs Stäuble jedoch blieb sich freilich bis zum letzten Takt treu. Äusserlich zumindest liess er sich überhaupt nichts anmerken, von Wehmut keine Spur. Auch in diesem letzten Konzert gab es keine Kompromisse. Er zeigte dies gleich bei Konzertbeginn, als er gute zwei Minuten unbeweglich am Dirigentenpult verharrte, bis auch das letzte Geräusch in der Kirche verstummt war. Höchste Spannung herrschte beim Chor und beim Dirigent. Entsprechend gut gelang dann auch der Einstieg ins «Schicksalslied», das Johannes Brahms nach einem Gedicht von Friedrich Hölderlin vertont hatte. Wunderschön der einstimmige Gesang der Frauenstimmen und danach der ausgeglichene Chorklang. Hier tritt keine Stimme hervor, alle Sängerinnen und Sänger ordnen sich dem Ganzen unter. Das Resultat davon ist ein reiner Gesang von seltener Schönheit. Beeindruckend der Schluss der zweiten Strophe mit einem Pianissimo vom Feinsten. Stürmisch danach der Auftakt zur dritten Strophe, die wiederum mit einem Piano endete und das Kammerorchester leise ausklingen liess.

Kammerfassung von Urs Stäuble
Das ad hoc zusammengestellte Kammerorchester begleitete übrigens den Chor äusserst subtil. Dass Urs Stäuble auf die originale, sinfonische Fassung der Werke verzichtet hatte und stattdessen eine eigene Kammerfassung schrieb, war zweifellos ein Wagnis, das sich freilich sehr gelohnt hat. Ein Streichquartett spielte zudem zwischen den Brahmswerken je einen Satz von Franz Schuberts Streichquartett Nr. 13 a-Moll.

Im zweiten Brahms-Werk, der «Alt-Rhapsodie» nach dem Goethe-Gedicht «Harzreise im Winter», trat der Männerchor zusammen mit der Altistin Leila Pfister auf. Es war ein hervorragendes Zusammenspiel zwischen der stimmgewaltigen Solistin und dem fein abgestimmten Männerchor, einem Männerchorklang von seltener Schönheit. Höhepunkt des Konzerts war zweifellos «Nänie», ein Brahms-Lied nach einem Text von Friedrich Schiller. Hier war schon sehr viel Symbolik enthalten mit Bezug auf das endgültige Aus des Kammerchors. «Auch das Schöne muss sterben!» heisst es gleich zu Beginn des Liedes und schliesst mit dem versöhnlichen Satz «Auch ein Klaglied zu sein im Mund der Geliebten ist herrlich …». Dass dazu plötzlich noch die letzten abendlichen Sonnenstrahlen den Seitenaltar neben dem Chor erhellten, liess eine ganz besondere Stimmung aufkommen. Nachdem der Chor nochmals alle Register seines Könnens gezogen hatte, verdankte das Publikum in der voll besetzten Kirche die Arbeit von Chor und Dirigent mit einem kaum enden wollenden Applaus.

Danke, Urs Stäuble
Typisch für Urs Stäuble: Er wollte keine ausufernden Abschiedsszenen. Nachdem der letzte Ton verklungen war, war endgültig Schluss, es gab keine Zugabe, es war einfach fertig. Die Sängerinnen und Sänger erhielten als Dank eine Sonnenblume, die Mitglieder des Kammerorchesters und der Dirigent einen Blumenstrauss. Da und dort wischten einzelne Chormitglieder verstohlen eine Träne aus dem Auge. Dies war das definitive, unwiderrufliche Ende. Das Fricktal, aber auch alle Liebhaber von gepflegter Chormusik, haben etwas Liebgewordenes verloren. Auch wenn viele Einzelne zum grossartigen Erfolg beigetragen haben, so darf doch erwähnt sein, dass all dies ohne die Kreativität, die Musikalität und den eisernen Willen von Urs Stäuble niemals möglich gewesen wäre. So bleibt nur noch dies: «Danke Urs, es war eine schöne Zeit!»


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