Behindertenbetreuer steht wegen Schändung vor Gericht

  16.08.2018 Fricktal, Rheinfelden

Am Dienstag musste sich ein heute pensionierter Sozialpädagoge zum zweiten Mal vor dem Bezirksgericht Rheinfelden verantworten. Er soll sich 2013 im Solbad «Sole Uno» an einer behinderten Frau, die in seiner Obhut war, vergangen haben. Der Verteidiger verlangt einen Freispruch.

Valentin Zumsteg

Es passiert immer wieder, dass sich Gäste im Rheinfelder Solbad «Sole Uno» nahe kommen. Doch was sich am 3. Mai 2013 zutrug, war aussergewöhnlich. Die Bademeister wurden auf eine körperlich und geistig behinderte Frau aufmerksam, die von einem rund doppelt so alten Mann geküsst und gestreichelt wurde. Später verschwand das ungleiche Paar in einer Umkleidekabine für Behinderte und blieb während einer Stunde darin, bevor die beiden angekleidet rauskamen. Dies zeigen Videoaufnahmen. Wie sich herausstellte, handelte es sich bei dem damals 63-jährigen Mann um den Betreuer der Frau. Er arbeitete als Sozialpädagoge im ausserkantonalen Wohnheim, in dem die Frau lebt, und unternahm mit ihr regelmässig Ausflüge. Die Frau ist seit Geburt schwer hirngeschädigt. Sie kann nicht selber gehen, stehen, sitzen oder essen.

Obergericht verlangte Gutachten
Was sich an jenem Morgen genau in der Umkleidekabine des «Sole Uno» zugetragen hat, bleibt ungewiss. Laut Aussagen der Frau anlässlich einer polizeilichen Videobefragung sollen sie sich geküsst und gegenseitig im Intimbereich berührt haben. Deswegen musste sich der Familienvater, der aufgrund des Vorfalls fristlos entlassen wurde und seither pensioniert ist, bereits 2015 vor dem Bezirksgericht Rheinfelden verantworten. Die Staatsanwältin sah es damals als erwiesen an, dass der Tatbestand der Schändung erfüllt ist. Sie forderte eine Freiheitsstrafe von 24 Monaten bedingt bei einer Probezeit von zwei Jahren sowie eine Busse von 5000 Franken. Der Verteidiger verlangte einen Freispruch für seinen Mandaten. Das Bezirksgericht sprach den Beschuldigten damals in einem Mehrheitsentscheid frei. Es erachtete die Urteilsfähigkeit der Frau als gegeben, die Handlungen seien einvernehmlich erfolgt. Zudem habe beim Beschuldigten kein Missbrauchsvorsatz bestanden. Die Privatklägerin, die Mutter der behinderten Frau, zog dieses Urteil an die nächste Instanz weiter. Im September 2015 musste sich das Obergericht mit dem Fall befassen. Es hob das Urteil der Erstinstanz auf und wies das Bezirksgericht Rheinfelden an, ein Gutachten über die Urteilsfähigkeit des Opfers einzuholen und den Fall neu zu beurteilen.

«Er wusste von der Urteilsunfähigkeit des Opfers»
Am vergangenen Dienstag fand nun die zweite Verhandlung vor dem Bezirksgericht Rheinfelden statt. Dort kamen die Gutachter zu Wort, welche die Urteilsfähigkeit der Frau zu beurteilen hatten. Ihr Fazit: Die Frau könne zwar ihren Willen bei einfachen Fragen ausdrücken. Aber bei komplexen Sachverhalten wie sexuellen Handlungen mit einer Betreuungsperson sei sie nicht urteilsfähig.

Die Staatsanwältin hielt deshalb am Anklagepunkt der Schändung fest: «Das Opfer stand in einem Betreuungs- und Abhängigkeitsverhältnis, das hat sich der Beschuldigte zunutze gemacht. Er handelte mit Vorsatz, wissentlich und willentlich. Er wusste von der Urteilsunfähigkeit des Opfers.» Die Staatsanwältin forderte – wie bereits bei der ersten Verhandlung – eine Freiheitsstrafe von 24 Monaten bedingt sowie eine Busse von 5000 Franken.

Der Verteidiger bemängelte das Gutachten in einigen Punkten. Zudem verlangte er, dass die Videobefragung der Frau nicht verwertet wird, weil sie unprofessionell geführt worden sei. «Mein Mandant hat sich nicht strafbar gemacht. Es haben keine strafbaren Handlungen stattgefunden und es gibt kein Opfer», erklärte er. Er plädierte erneut auf einen Freispruch und forderte eine Genugtuung von 15 000 Franken für den Angeklagten. Auf Anraten seines Verteidigers hatte der Beschuldigte sowohl bei der ersten als auch bei der zweiten Verhandlung die Aussage verweigert. Am Dienstag sagte er zum Schluss: «Ich bin überzeugt, dass ich nichts gemacht habe. Ich muss mir keinen Vorwurf machen.» Das Urteil wird in den nächsten Tagen schriftlich eröffnet.


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