Heiliges Land?

  19.07.2018 Kolumne

«Seit sieben Jahren lebe ich nun im Heiligen Land. Je länger ich hier bin, desto weniger verstehe ich die Situation im Land, welches Gott auserwählt hat», sagt Pater Giorgio Vigna, ein bescheidener Franziskaner, welcher uns diesen Juni eine Woche durch Israel geführt hat. Eine Aussage, die ich nie wieder vergessen werde. Jeder Gardist hat in seiner Laufbahn die Möglichkeit, eine organisierte Pilgerreise durch das Heilige Land zusammen mit anderen Kameraden zu erleben. Nazareth, Bethlehem, Jerusalem; das volle Programm auf den Spuren Christi, geführt von P. Giorgio Vigna. Er gehört der sog. «Kustodie des Heiligen Landes» an, derer Provinz des Franziskanerordens, die sich um die heiligen Stätten der Christenheit in Israel kümmert. Es war eine einzigartige Reise, nicht nur religiös, sondern auch politisch gesehen. Die Hauptproblematik in Israel ist, dass die Religionen den Lauf der Politik bestimmen. Israel ist das auserwählte Land, von dem her alles seinen Anfang nahm, das Christentum ins Rollen gerät. Etwas Mächtiges, Einflussreiches wurde in Gang gesetzt. Jedoch ist heute der Einfluss der Römisch-Katholischen in Israel gleich null. Viele der Heiligtümer wie bspw. die Geburtskirche in Bethlehem sind in der Hand der Orthodoxen. Es kommt regelmässig zu Auseinandersetzungen zwischen den Konfessionen, bei der die Katholischen oft den Kürzeren ziehen. Ein Beispiel: Im Abendmahlssaal (Coenaculum) in Jerusalem haben die Franziskaner zweimal pro Jahr (!) das Recht, die Vesper zu beten; am Gründonnerstag und an Pfingsten. Die religiösen Konflikte sind der Unterboden der Politik, mit dem Zankapfel Jerusalem im Zentrum der Aufmerksamkeit. P.Vigna: «Jerusalem ist die Heilige Stadt, aber seine Bewohner sind es definitiv nicht.» Die Gesamtsituation widerspiegelt sich in Jerusalem im Miniformat. Ein Labor: Seit Jahrzehnten versuchen mehrere Akteure, den Frieden herbeizuführen. Man experimentiert, spekuliert, entscheidet. Resultat: Ein «frustrierter Frieden». Irgendwie ist die Lage nicht prekär, aber doch nicht in Ordnung. Ein Diamant: Wenn Licht durch einen Diamant stösst, wird es vielfach gebrochen. Ein Körper, aber viele Teile. Ein Land, tausende Probleme. Im Zentrum: Die Religion. «La religione conta su tutto»; die Religion beherrscht alles, so P. Vigna. Jerusalem sei die Heilige Stadt aus der Berufung heraus, welche dazu bestimmt sei, eine herausragende Rolle in der Geschichte Israels zu spielen. Jerusalem wäre eigentlich dazu berufen, ein Symbol der Hoffnung zu sein, um aufzuzeigen, dass ein friedliches Nebeneinander der Religionen funktionieren kann. Doch vielleicht ist es gerade die Einzigartigkeit und Heiligkeit der Stadt, welche dazu verdammt, niemals den Frieden zu finden. Irgendwie stört es nicht, dass ein Konflikt vorhanden ist. Da er schon so lange andauert, liegt er ständig in der Luft, er gehört zum täglichen Leben in Israel. Eine komplexe, zersplitterte und schier hoffnungslose Situation. Jedoch sollten die schönen Erinnerungen der Reise bleiben. Am eindrucksvollsten für mich: Der Besuch des Heiligen Grabs. Was für tiefgreifende Emotionen, sich vor dem Grabstein zu befinden, auf dem der Sohn Gottes niedergelegt wurde und von wo der Lauf der Geschichte umgekrempelt wurde.

ROMANO PELOSI, ROM


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