«Es geht darum, die Würde zu wahren»

  17.06.2018 Gipf-Oberfrick

Ignaz Heim: Ein Blick auf den Mann mit vielen Profilen

Heim besetzte Kaderpositionen in der Privatwirtschaft, lebte zeitweilig in Sri Lanka und den USA. Je mehr er gesellschaftlichen Entwicklungen auf den Grund ging, umso weniger Gefallen fand er daran. «Heute», sagt er, «bin ich als Leiter eines öffentlichen Dienstes angekommen».

Simone Rufli

«Das Führen von Sozialarbeitern ist eine spezielle Herausforderung», bestätigt Ignaz Heim. Er schmunzelt und blickt hinaus in den herrlich blühenden Garten. «Da ich als Chef aber grundsätzlich meinem Gegenüber vertraue und Eigeninitiative fördere, finden wir uns schnell.» Seit fast vier Jahren ist der 54-Jährige Geschäftsführer im Kindes- und Erwachsenenschutzdienst (KESD) Bezirk Bremgarten und seit letztem Herbst auch Präsident der Schweizerischen Vereinigung der Berufsbeistände (SVBB). «Ich bin beruflich angekommen.»

Der KESD ist nicht zu verwechseln mit der Kesb (Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde). Der KESD erbringt im Auftrag der Gemeinden verschiedene Dienstleistungen im Bereich des Sozialwesens und setzt die Entscheide der Kesb um. «Zu unseren Aufgaben gehört das Führen von Beistandschaften, die Aufsicht über Pflegeplätze in Pflegefamilien und bei Tagesmüttern, die Jugend- und Familienberatung sowie Abklärungen und das Erstellen von Sozialberichten. Wenn die Kesb in einer akuten Situation nach fachlicher Abklärung zum Schluss kommt, dass eine Person einen Beistand braucht, übergibt sie den Fall an uns. Unsere Berufsbeistände kümmern sich dann um diesen Menschen persönlich und bewirken nicht selten eine einvernehmliche Anpassung des ursprünglichen Entscheids der Kesb. Wenn wir sehen, dass jemand in der Lage ist, seine Sachen selbst zu regeln, ziehen wir uns zurück. Besonders wichtig ist uns, dass die Würde dieser Menschen gewahrt bleibt. Wenn sie gefährdet ist, zum Beispiel bei Demenz oder Behinderung, sorgt ein Beistand für diesen Schutz. Dasselbe gilt, wenn das Wohl eines Kindes gefährdet ist.» Berufsbeistände, betont Heim, leisteten sehr wertvolle Arbeit. «Wussten Sie, dass unsere Dienststelle auch ehemaligen Betroffenen von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen zum Solidaritätsbeitrag des Bundes verhilft?» Diesen Menschen fehle meist die Kraft, sich mit der schrecklichen Vergangenheit auseinanderzusetzen und auf sich allein gestellt hätten sie kaum eine Chance, sich durch den Berg von Formularen zu kämpfen, die für die Geltendmachung des Anspruchs nötig sind.

Das Fricktal im «off»
Aufgewachsen ist Heim in Gelterkinden. «Das Fricktal kannte ich in meiner Jugend nicht, es war irgendwie im „off“.» Erst Jahre später und von jenseits des Atlantiks entdeckte er dessen Vorzüge. Er lacht. «Hierher zu ziehen war ein Blitzentscheid während einer Geschäftsreise. Wir wussten, dass wir wegen der Ausbildung unserer Kinder in die Schweiz zurückkehren wollten und so machte ich mich auf die Suche nach einem Stück Land für unsere siebenköpfige Familie.» In Gipf-Oberfrick fand sich eine geeignete Parzelle. «Uns überzeugte neben der Landschaft die Nähe zu den Flughäfen, die gute Anbindung an den öffentlichen Verkehr und das schulische Angebot.» Heim schmunzelt. Als Präsident der IG Pro Oberstufe Gipf-Oberfrick kämpft er für den Erhalt eben dieses Angebots und erwartet mit Spannung den Ausgang der Gemeindeversammlung in Eiken.

Heim hat das Gymnasium in Liestal besucht und machte eine landwirtschaftliche Lehre, bevor er an der ETH Zürich Agronomie studierte und als Dr. abschloss. Als Agronom und auch später als Führungskraft in einem international tätigen Unternehmen der Baubranche ist er viel in der Welt herum gekommen. Und ganz gleich was er wo macht, «ich hinterfrage – politische, aber auch unternehmerische Entscheide». Er weiss, dass er mit seiner Art aneckt, weil er immer auch fordert. So war es in der Schulpflege, so ist es in der IG, und vielleicht kostete ihn das auch die entscheidenden Stimmen bei den letzten Wahlen in den Gemeinderat.

Den Aufwand einer Doktorarbeit hat Heim aus zwei Gründen auf sich genommen: «Ich wusste, ich wollte ins Ausland. Da öffnet ein Doktortitel Türen einfacher. Dazu kommt, dass man während einer Doktorarbeit nicht nur forschen kann, sondern auch selbstständiges und strukturiertes Arbeiten lernt.» Schon einmal – im Alter von 14 Jahren – war er zur Selbstständigkeit gezwungen worden. Damals, als die Mutter starb und der Vater beruflich stark gefordert war.

Nach dem Studium, zu Beginn der 1990er Jahre, fand sich der Agronom in einer Wirtschaftskrise wieder. Die Stellensuche gestaltete sich schwierig. Schliesslich bekam er eine Anstellung bei einer auf Handel und Tourismus spezialisierten Firma in Sri Lanka. «Wir reisten mit unserem drei Monate alten Kind dorthin. Das zweite Kind kam dann in Sri Lanka zur Welt», erzählt der Vater von drei eigenen und zwei adoptierten Kindern. Nach eineinhalb Jahren Familienleben mitten in einer Bürgerkriegssituation, mit der steten Gefahr von Anschlägen und nach einem schweren Autounfall, brach die junge Familie die Zelte in Sri Lanka ab und liess sich in Magden nieder. «Ich fand eine Anstellung in der Basler Chemie und schon bald zogen wir – inzwischen mit drei Kindern – in die USA um.» Drei Jahre lang lebte die Familie bei New York. Heim hängte ein Wirtschaftsstudium an und war nun bereit, seine Erfahrungen und Kenntnisse in einer Führungsfunktion einzubringen. «Das war der Zeitpunkt, als wir unser Haus in Gipf-Oberfrick bauten», kehrt er zum Anfang des Gesprächs zurück. Irgendwann hoch oben auf der Karriereleiter überkamen Heim Zweifel. «Ich verdiente viel Geld, vermisste aber den tieferen Sinn in meiner täglichen Arbeit.» Am Ende war es meine Frau, die mich motivierte, mich bei der KESD zu bewerben, wo ich weiter professionell arbeiten kann und nachhaltigen Sinn meines Engagements finde.»


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