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  26.06.2018 Oberhof

Marianne Herzog und ihr Zugang zu den Menschen

Sie spricht Französisch, Rumänisch, Englisch, Italienisch und Arabisch: Marianne Herzog aus Oberhof über die Liebe zur Sprache und die Probleme mit dem Tisch – allerdings bloss auf Arabisch.

Jasmin Koch

Französisch, Englisch und Italienisch lernte sie im Rahmen ihrer Ausbildung zur Lehrerin, Rumänisch und Arabisch eignete sie sich in ihrer Freizeit an. Marianne Herzog aus Oberhof – verheiratet, Mutter von drei erwachsenen Kindern – arbeitet als Traumaspezialistin. Als solche begegnet sie immer wieder Menschen mit traumatischen und seelischen Belastungen.

«Mit Worten eine Freude bereiten»
Es ist nicht die Sprache allein, die Herzog jeweils interessiert. Es ist auch das kulturelle Gut, welches hinter jeder einzelnen Sprache steckt. «Man ist viel näher bei den Menschen und kann Vertrauen schaffen, wenn man ihre Sprache spricht.» Gerade für sie als Traumaspezialistin sei das wichtig. «Ich freue mich, wenn ich durch meine Fremdsprachenkenntnisse mit ein paar Worten anderen Menschen eine Freude bereiten kann.»

Mit rund 40 Jahren hatte Herzog die Idee, Russisch zu lernen. Diese Idee hat sie jedoch durch ein Schlüsselerlebnis wieder verworfen. «Ich stand in Paris an einem Bankomaten und Russen haben sich derart unsympathisch vorgedrängelt, dass ich mir gleich sagte: nein, Russisch lerne ich nicht.» Da sie aber eine Sprache mit anderen Schriftzeichen lernen wollte, entschied sie sich für Arabisch. Während fünf Jahren besuchte sie Kurse an der Migros Klubschule, absolvierte einen zweiwöchigen Sprachaufenthalt in Syrien und bereiste mit ihrem Mann geschäftlich arabische Länder. Die Einheimischen haben es immer sehr geschätzt, wenn sie sich bemüht hat, ihre Sprache zu sprechen. Sie habe auch schreiben gelernt: «Ich kann schreiben, jedoch nicht fehlerfrei.»

Marianne Herzog merkte, wie unglaublich schwierig es ist, eine Sprache zu lernen, die so reich an Ausdrücken ist und in der beispielsweise für Tisch drei oder vier verschiedene Wörter existieren. «Ich kenne zwei arabische Wörter für Tisch. Sagt jedoch jemand das dritte oder vierte Wort, so verstehe ich es nicht.» Dasselbe gilt fürs Lesen. Sie kann nur die Wörter lesen, die sie auch gelernt hat. Rückschlüsse zu ziehen sei sehr schwierig, was für sie Zeitung lesen verunmöglicht. Herzog nennt ihre Kenntnisse im Hocharabisch «für den Hausgebrauch».

Als sie vor drei Jahren in Basel eine neue Stelle antrat und mit syrischen Flüchtlingen in Kontakt kam, konnte sie einerseits mit ihren Arabischkenntnissen Brücken schlagen, jedoch auch Verständnis aufbringen für diese Menschen, denen es teilweise schwerfiel, Deutsch zu lernen.

Aus der Not entstanden
Marianne Herzog reist beruflich bedingt häufig nach Rumänien und hält Vorträge im Rahmen von EU-Projekten. Ebenfalls arbeitet sie mit einer Kollegin zusammen, welche in der Nähe von Bukarest ein Hilfswerk für Opfer von häuslicher Gewalt leitet. «Häufig sass ich mit Menschen an einem Tisch und konnte nicht mit ihnen sprechen.» Daher entschied sie sich vor gut einem Jahr, Rumänisch zu lernen; kaufte sich ein Buch und lernte autodidaktisch. Für das Sprechen telefonierte sie einmal wöchentlich mit einer rumänischen Kollegin und übte dabei die Aussprache. Ebenfalls liess sie eigene Texte korrigieren. Für die rumänische Sprache halfen ihr ihre guten Französisch- und Italienischkenntnisse, mit denen sie viel kombinieren konnte. So kann sie heute gut in Rumänisch korrespondieren und liest Bücher in Rumänisch.

Herzogs Arbeit und das grosse Interesse an Sprachen haben sich in ihrem Bilderbuch «Lily, Ben und Omid» vereint. Dieses Buch ist – wie sie sagt – «aus der Not» entstanden, da es für ihre Arbeit als Traumaspezialistin kein illustriertes Hilfsmittel gab. Bei einem Spaziergang mit einer Freundin erzählte Herzog ihr von der Idee, ein Bilderbuch zum Thema «Traumabewältigung» zu machen. Die Freundin war davon begeistert.

Die Geschichte zum Bilderbuch hatte Herzog selber. «Bei einem Spaziergang ist mir die Geschichte einfach so zugeflogen. Ich setzte mich zu Hause hin und konnte einfach schreiben.» Dank der Geldsumme des Lotteriefonds konnte sie eine bekannte Illustratorin engagieren. «In regelmässigen Sitzungen habe ich meine Wünsche der Illustratorin mitgeteilt. Dabei war mir für die Geschichte wichtig, dass verschiedene Religionen, Kulturen, Geschlechter und Charaktere vorkommen, damit möglichst alle angesprochen werden können.» Einzig die Lieferung der Bücher hatte Herzog unterschätzt. «Es waren 1500 Exemplare à 500 Gramm. Die schweren Schachteln haben wir während zweier Stunden von Hand abgeladen. Unser Haus wurde kurzzeitig zu einem Verlag.»

Von der Idee bis zur Vernissage ist knapp ein Jahr vergangen. Nun erscheint bereits die dritte Auflage. «Ich bekomme durchwegs positives Feedback und erhalte immer mehr Anfragen für Weiterbildungen und Vorträge.» Mit den Einnahmen des Verkaufs der Bilderbücher finanziert Herzog Übersetzungen in andere Sprachen. Inzwischen existiert das Bilderbuch in Englisch, Französisch, Arabisch, Farsi (persisch), Schwedisch, Rumänisch und Tigrinya (wird in Äthiopien und Eritrea gesprochen). «Einige Übersetzungen sind sehr schnell und unkompliziert über die Bühne gegangen. Andere waren sehr anspruchsvoll, dauerten lange und haben viele Nerven und auch Geld gekostet, da spielt neben der Sprache auch die Kultur wieder hinein.»

Für Herzog ist das in ihrer Freizeit entstandene Bilderbuch eine Art Zusammenzug von ihren Interessen und Stärken: die pädagogische Sichtweise einer Lehrerin, die kreative Seite einer Floristin (Herzog führte während zehn Jahren einen Blumenladen), die Liebe zu den Sprachen und damit verbunden das kulturelle Wissen, die Ausbildung in der Traumapädagogik und die Arbeit und der Kontakt mit den Menschen vor Ort. All dies ermöglichte ihr, das Projekt «Bilderbuch», das höchst komplexe Vorgänge erklärt, in einer klaren und einfachen Sprache zu realisieren.

Welches wird die nächste Sprache sein, die Marianne Herzog lernt? In welcher Sprache erscheint ihr Bilderbuch als nächstes? Es wird in Russisch sein.

Dieses Portrait, mit freundlicher Genehmigung der Kulturkommission Wölflinswil-Oberhof, erschien in der gemeinsamen Dorfchronik beider Gemeinden, der «Rückblende 2017».
Die Chronik ist auf der Gemeindeverwaltung für 25 Franken erhältlich.


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