Starten mit der ganzen Welt

  04.05.2018 Stein

Alles ist möglich bei der AIM-Sportgruppe von Francesca Brenni

Wings for Life World Run: Das ist der Lauf, bei dem alle Teilnehmer das Ziel erreichen. Die sechste Auflage des weltweiten Benefizlaufs findet kommenden Sonntag, 6. Mai, statt. Mit am Start in Zug ist auch die Behinderten AIM Sportgruppe von Francesca Brenni. Kürzlich trainierte die Gruppe für ihren ersten grossen Lauf im Sportzentrum Bustelbach in Stein.

Hildegard Siebold

«AIM – Alles ist möglich» steht auf den T-Shirts der Männer und Frauen, die sich zum gemeinsamen Lauftraining eingefunden haben. Der Satz gewinnt eine besondere Bedeutung, denn es handelt sich hier um Menschen mit einer körperlichen Behinderung. «AIM» ist zugleich das Lebensmotto von Francesca Brenni. Im Oktober 2017 hat die Physiotherapeutin die Gruppe gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Heiko Martin – er ist ebenfalls Physiotherapeut – ins Leben gerufen. Es handelt sich um ein Nachwuchsprojekt von PluSport Schweiz. Seit 1960 engagiert sich PluSport für Menschen mit Behinderung und ermöglicht ihnen Integration, Freude und Erfolg durch Bewegung und Sport. Freude an der Bewegung haben sie ohne jede Frage.

Er trägt seine Sportprothese zum ersten Mal
Mit viel Humor geht die buntgemischte Gruppe zur Sache. Sechs der neun Mitglieder sind heute mit dabei, darunter ist Elena Kratter vom Swiss Paralympic Ski Team. Seit ihrer Kindheit ist die talentierte Skifahrerin unterschenkelamputiert. Als Orthopädietechnikerin ist die 21-Jährige für Francesca Brenni eine wichtige Stütze, wenn es um technische Fragen rund um die Prothesen geht. Vor allem dann, wenn diese für den Träger neu sind, wie bei Norbert Strittmatter. Er trägt seine Sportprothese an diesem Tag zum ersten Mal. Sie wurde ihm, wie zwei weiteren Mitgliedern der Gruppe, vom Luzerner Prothesenhersteller Ottobock eigens für den Wings for Live World Run zur Verfügung gestellt. «Das ist ein ganz anderes Gefühl», sagt der 57-Jährige. Seit einem Motorradunfall im Sommer 2015, bei dem er das rechte Bein verlor, war Joggen kein Thema mehr. Norbert Strittmatter lernte Francecsa Brenni nach seinem Unfall kennen. Sie arbeitete damals in der Rehaklinik Bellikon und betreute ihn. Als sie ihn eines Tages anfragte, ob er nicht mitmachen möchte in der AIM-Sportgruppe, sagte er spontan ja. «Es macht Spass mit Gleichgesinnten zu trainieren und sich auszutauschen», sagt er. Auch neue Herausforderungen kann er mit der Gruppe angehen, etwa Biathlonfahren im Winter. «Vor 35 Jahren stand ich ein einziges Mal auf Langlaufskiern», lacht er. Und jetzt wieder.

Den Menschen Wege aufzuzeigen
«Viele möchten trotz ihrer Behinderung Sport treiben», weiss Francesca Brenni aus ihrer beruflichen Erfahrung heraus. 2017 gründete sie ihre Praxis Agility Sportphysiotherapie in Basel. Und seit 2017 ist sie Projektleiterin und Botschafterin für Nachwuchssport von PluSport. Seit 2014 betreut sie zudem das Swiss Paralympic Ski Team als Sportphysio. Ihre Aufgabe in der AIM-Sportgruppe sieht sie darin, den Menschen Wege aufzuzeigen, Sport auf einem hohen Niveau zu betreiben. «Viele wissen gar nicht, was mit der Prothese alles möglich ist», erklärt Francesca Brenni. Einmal im Monat treffen sie sich zum Training und arbeiten an den Basics. «Die Gruppe bringt die Ziele ein und ich versuche, ihre Visionen zu ermöglichen», erklärt Francesca Brenni. Ein erstes grosses Ziel wird der Wings for Live World Run am Sonntag in Zug sein. Allzuviel Vorbereitungszeit blieb nicht. «Wir gehen einfach hin und sind dabei», lacht Francesca Brenni. Es gehe darum, mit Stolz dabei zu sein.

Alle starten gemeinsam mit der ganzen Welt
Der Wings for Live World Run ist ein globaler Charity-Lauf und wirklich jeder kann mitmachen. Der Volkslauf findet seit 2014 jährlich an einem Tag an verschiedenen Event Locations auf der ganzen Welt statt. Der Startschuss fällt überall zur gleichen Uhrzeit, egal ob es an einer Event Location gerade Tag oder Nacht ist. Alle starten gemeinsam mit der ganzen Welt. Eine fixe Distanz wie bei einem Marathon gibt es nicht. Stattdessen laufen alle Teilnehmer vor dem sogenannten Catcher Car. Dies startet eine halbe Stunde nach den Läufern und erhöht seine Geschwindigkeit in festgelegten Intervallen. Manche Teilnehmer werden schon nach wenigen Kilometern von der beweglichen Ziellinie eingeholt, andere später. Alle Startgelder fliessen in Forschungsprojekte zur Heilung des verletzten Rückenmarks. Letztes Jahr rannten weltweit 155.185 Teilnehmer am Wings For Life World Run mit und insgesamt 6,8 Millionen Euro kamen für die Rückenmarksforschung zusammen. In der Schweiz gingen knapp 4500 Läufer an den Start.

«Ein tolles Gefühl»
Für den Lauf trainiert die Gruppe von Francesca Brenni und Heiko Martin ein zügiges Gehen mit Laufintervallen. Das sieht viel einfacher aus, als es wirklich ist. Rückwärtslaufen, seitwärts laufen, dann wieder geradeaus: Bei allem gilt es, die richtige Balance und Stabilität zu finden, im Gleichgewicht zu sein. «Kopf hoch», fordert Heiko Martin die Sportler ein ums andere Mal auf. «Au bim Renne müend ihr euch noch vorne orientiere, wie bim Autofahre», erklärt er. «Wo sind die Arme, Arme sind beim Laufen brutal wichtig», kommentiert er die nächste Übung, in der es gilt, den Boden einzufangen. Ganz schön anstrengend ist auch das Hüpfen auf Bein und Prothese. Beim Gehen vor dem Trainingsabschluss geben sie dann richtig Gas. Knappe neun Stundenkilometer schafft die Gruppe und ist glücklich über dieses Ergebnis. «Wenn man am Abend richtig kaputt ist, ist das ein tolles Gefühl», resümiert Norbert Strittmatter sein erstes Training mit der Sportprothese. Und er hat sicher gut geschlafen in dieser Nacht.


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