ESPRESSO ROMANO - Wo alle Fäden zusammenlaufen

  18.05.2018 Nordwestschweiz

Jeden Morgen um 5.45 Uhr öffnen wir Gardisten das Sankt Anna-Tor. Es ist der Haupteingang zur Vatikanstadt, der Hauptverkehrsweg für Personen und Fahrzeuge. Mehrere tausend Menschen, darunter Kardinäle, Bischöfe, Nonnen, überqueren am Sankt Anna täglich die Grenze zwischen Italien und Vatikan. Am liebsten mag ich die Position auf der Strasse, wo es die Fahrzeuge zu kontrollieren gilt. Es ist aufregend und spannend am Sankt Anna, viel Verkehr, viel Gefluche über Fahrkünste der Nonnen, viele verwirrte Touristen (und Touristinnen…). Was mir auffällt, wenn ich meinen Dienst auf der Strasse verrichte, ist die hohe Anzahl der Diplomatenfahrzeuge. Es fällt mir deswegen auf, weil diese Fahrzeuge mit einem speziellen Nummernschild ausgestattet sind, welches es als Diplomatenauto kennzeichnet. Sie fahren zahlreich ein und aus, jeden Tag.

Wenn ein neuer Vatikanbotschafter ernannt wird, gibt es eine strikt durchprotokollierte Empfangszeremonie durch den Papst, bei der wir den Ehrendienst stellen dürfen. Die Präsenz der Botschafter ist also stark im kleinsten Staat der Welt. Der Vatikan und der Heilige Stuhl, das Verwaltungsorgan der römisch-katholischen Kirche (ich schrieb darüber letztes Jahr), bergen eine Besonderheit: Die katholische Kirche ist weltweit die einzige Religionsgemeinschaft mit einem eigenen Staat. Dadurch kann die Kirche mittels ihrem politischen Organ, dem Heiligen Stuhl, Position beziehen und Diplomatie betreiben. Sie kann dort vermitteln und Dialog herbeiführen, wo die herkömmliche Politik der Staaten versagt. Der Heilige Stuhl ist zwar eine vorwiegend politische Instanz, jedoch vom Religiösen geprägt. Die Religion kann dort vermitteln, wo Politik nicht mehr weiter weiss oder will. Der Schweizer Theologe Hans Küng sagte einst: «Kein Weltfrieden ohne Religionsfrieden.» Franziskus‘ Pontifikat ist von einigen diplomatischen Paukenschlägen gezeichnet. Seine Amtseinführung am 19. März 2013: Präsent an dieser war der ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios I.. Das erste Mal seit 1054 besucht ein ökumenischer Patriarch eine Amtseinführung des römischen Papstes. Ein Zeichen der Versöhnung? Im Dezember 2014 kündigten Barack Obama und Raul Castro eine Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen USA und Kuba an: Entscheidender Vermittler war Papst Franziskus. Ein historischer Moment. Februar 2016: Papst Franziskus trifft den Moskauer Patriarchen Kyrill I. Das erste Treffen der Oberhäupter dieser zwei Kirchen, welche seit ihrer Trennung 1054 grösstenteils Funkstille bewahrt haben. Da die orthodoxe Kirche in Russland auch nah am Staat ist, konnte diese Begegnung auch in politischer Hinsicht nützlich sein. Bedeutenden Einfluss auf dieses Treffen hatte übrigens der Schweizer Kardinal Kurt Koch. November 2016: Der Papst ernennt den italienischen Bischof Mario Zenari zum Kardinal. Was daran besonders ist: Zenari ist Apostolischer Nuntius, also Vertreter des Vatikans, in Syrien. Nie zuvor wurde bisher ein Nuntius zu einem Kardinal ernannt. Ein Zeichen in Richtung Syrien. Herbst 2017: Franziskus besucht Kolumbien, das seit Jahren in einem Konflikt mit den linksgerichteten FARC-Guerillas feststeckte. 2016 wurde ein Friedensvertrag zwischen dem Staat und den Guerillas ausgehandelt; die FARC löste sich im Frühling dieses Jahres auf. Der Vatikan hat im Friedensprozess eine wichtige Rolle gespielt. Die Diplomatenmaschinerie des kleinsten Staates der Welt mit ihrem Franziskus an der Spitze steht niemals still… Zum Glück.

ROMANO PELOSI, 21


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