«Die tiefen Zinsen bergen Risiken»

  12.11.2017 Hellikon, Wirtschaft, Unteres Fricktal

Von Valentin Zumsteg

NFZ: Herr Gersbach, wie haben Sie Ihr erstes Geld verdient?

Hans Gersbach: Mein erstes eigenes Geld habe ich mit dem Fangen von Mäusen verdient. Ich bin auf einem Bauernhof in Hellikon aufgewachsen. Für jede getötete Maus gab es von der Gemeinde einen kleinen Betrag. So kam ich zu meinem Taschengeld. Es ging dabei aber nicht nur darum, Geld zu verdienen. Wir wollten auch unsere Kartoffeln vor den Mäusen schützen.

 

Was bedeutet Ihnen Geld heute?

Wie jeder brauche ich Geld, um das Notwendige zu bezahlen. Daneben gibt Geld eine gewisse Freiheit in der Lebensgestaltung und es dient der Vorsorge. Es soll sich aber nicht alles im Leben um Geld drehen. Die Motivation, Wissenschaft zu betreiben, ist nicht durch Geld getrieben, sondern durch die Neugier.

Trotz Kreditkarten und Zahlungsmöglichkeiten mit dem Smartphone zahlen die Schweizerinnen und Schweizer immer noch sehr häufig mit Bargeld. Woher kommt die Liebe für Bares?

Es ist interessant, dass in der Schweiz, aber auch in Deutschland, die Menschen sehr stark am Bargeld hängen, viel stärker als zum Beispiel in Schweden. Das hat sicher historische und kulturelle Hintergründe. Für viele Schweizer vermittelt Bargeld ein Gefühl der Sicherheit und der Unabhängigkeit von staatlicher Überwachung. In skandinavischen Ländern ist dies viel weniger stark der Fall. Durch die Finanzkrise hat sich die Bedeutung des Bargeldes in der Schweiz und in Deutschland eher verstärkt.

 

Es gibt in verschiedenen Ländern Bestrebungen, das Bargeld abzuschaffen. Sind Sie ein Befürworter einer bargeldlosen Gesellschaft?

Nein, überhaupt nicht. Ich bin ein Verfechter des Bargeldes. Alle Argumente für die Abschaffung sind aus meiner Sicht nicht stichhaltig. Das Bargeld bringt viele Vorteile. Zum Beispiel kann man etwas sofort und endgültig bezahlen, ohne dass es dafür eine technische Einrichtung braucht. Es gibt keine plausiblen Gründe, warum der Staat diese Vorteile verbieten sollte.

 

Die Finanzkrise vor zehn Jahren hat die Schweizer Banken hart getroffen. Wie stehen die Banken heute da?

Die Schweizer Banken stehen heute deutlich besser da als damals. Die Puffer zur Vermeidung von Krisensituationen wurden erhöht. Das Bewusstsein in der Finanzindustrie ist gewachsen, dass solche Risiken da sind. Ob das Bankensystem so stabil ist, wie wir uns das wünschen, ist allerdings nach wie vor zweifelhaft. Es gibt gute Gründe, die Stabilität des Bankensystems weiter zu verbessern.

Ist eine nächste Finanzkrise wieder möglich?

Finanzkrisen können wir mit dem System, das wir heute haben, nicht ausschliessen. Eine nächste Krise wird aber wahrscheinlich anders gelagert sein. Es gibt immer wieder neue Bedrohungen.

 

Wo sehen Sie heute die grösste Gefahr?

Die tiefen Zinsen bergen ein Risiko. Würden die Zinssätze in kurzer Zeit stark ansteigen, dann könnten die Banken in Schwierigkeiten geraten, denn sie haben langfristige Hypotheken zu tiefen Zinsen gewährt. Das wäre eine deutliche Belastung für das Finanzsystem.

 

Das Bankgeheimnis gegenüber dem Ausland gibt es nicht mehr. Haben die Schweizer Banken dadurch ihren wichtigsten Trumpf verloren?

Die Banken haben damit einen Trumpf verloren, der in der Vergangenheit wichtig war. Die heutigen Geschäftsmodelle sind aber so ausgerichtet, dass man ohne das auskommen kann. Die Nachteile, welche aus der Aufgabe des Bankgeheimnisses erwachsen, sind heute nur noch gering.

Kann es aber zur Folge haben, dass den Schweizer Banken weniger Neugeld zufliesst?

Das kann eine Folge sein. Auf der anderen Seite kann es heute attraktiver sein, sein Geld in der Schweiz anzulegen, weil man in keine Verdachtssituation mehr gerät. Bisher hat es jedenfalls nicht dazu geführt, dass das Neugeld bei den Schweizer Banken im grossen Stil zurückgegangen ist.

 

Sie beschäftigen sich in Ihrer Forschung mit gesellschaftlichen und wirtschaftspolitischen Themen. Welche Entwicklung bereitet Ihnen derzeit am meisten Sorgen?

Am meisten Sorgen bereitet mir der zunehmende Protektionismus. Es gibt Tendenzen, dass man nicht mehr frei in andere Länder exportieren kann. Das kommt vor allem aus den USA. Gerade Länder wie die Schweiz sind auf offene Märkte bei den Gütern angewiesen. Aus der Geschichte wissen wir, dass es bei Handelshemmnissen meist nur Verlierer gibt. Etwas optimistischer stimmt mich, dass diese Gefahr auch von vielen Politikern in den USA erkannt wird.

 

Die Schweiz hat sich in den vergangenen Jahrzehnten zu einer führenden Wirtschaftsnation entwickelt. Wieso ist dieses kleine Land wirtschaftlich so erfolgreich?

Es gibt verschiedene Gründe: Die Schweiz verfügt über ein stabiles Polit- und Wirtschaftssystem. Entscheidend sind aus meiner Sicht zudem die Investitionen in die Bildung sowie die Forschung und Entwicklung. Mit neuen innovativen Produkten kann eine hohe Wertschöpfung erzielt und so der Wohlstand gesichert werden. Es braucht kontinuierliche grosse Anstrengungen, um an der Spitze zu bleiben. Es gibt auch andere Länder, die viel in Bildung, Forschung und Entwicklung investieren; Singapur sogar noch mehr als die Schweiz. Wir sind aber immer noch auf einem guten Pfad.

Die Schweiz hat viele grosse internationale Firmen. Die KMUs bilden aber das Rückgrat der Wirtschaft. Viele Unternehmer beklagen sich, dass die Banken bei der Kreditvergabe sehr zurückhaltend sind. Sind die Banken zu vorsichtig?

Das glaube ich nicht. Insgesamt kann ich keine Kreditklemme feststellen. Es gibt aber durchaus gewisse Bereiche, bei denen die Kreditgrenze etwas härter gezogen wurde.

 

Für die KMUs, gerade auch im Fricktal, ist der Euro-Wechselkurs von grosser Bedeutung. Welche Entwicklung erwarten Sie?

Der Schweizer Franken ist immer noch überbewertet. Es wäre für die Schweizer Volkswirtschaft wünschenswert, dass diese Überbewertung zurückgeht. Es gibt Kräfte, die in diese Richtung führen – zum Beispiel die zunehmend stärkere Wirtschaftskraft der Eurozone. Auf der anderen Seite kann es immer wieder Entwicklungen geben, bei denen die Leute den sicheren Hafen Schweiz ansteuern, dann gibt es wieder eine Gegenbewegung.

 

Wo sehen Sie eine faire Bewertung?

Es gibt verschiedene Schätzungen. Der Wechselkurs zum Euro müsste wohl etwa zehn Prozent höher sein.

 

Die Schweizer Wirtschaft lebt von ihrer Innovationskraft. Wie kann diese gefördert werden?

Die Schweiz hat eigentlich ein gutes Innovationssystem. Es ruht auf drei Pfeilern: Gute Ausbildung, hohe Investitionen in die Grundlagenforschung und Unterstützung der angewandten Forschung.

 

Müsste mehr Risikokapital für Start-ups zur Verfügung gestellt werden?

Das ist tatsächlich ein Bereich, der sich stärker entwickeln sollte. Der Anteil von Risikokapital an den Innovationskosten ist nach wie vor sehr klein. Das könnte ein Weg sein, um die Innovationskraft weiter zu steigern.

 

Wie beurteilen Sie derzeit den Zustand der Schweizer Wirtschaft?

Die Situation ist stabil, mit einem moderaten Wachstum. Der Exportsektor hat sich an die Situation mit dem stärkeren Franken gut angepasst. Die meisten Betriebe haben sich sehr gut gehalten.

 

Wie sehen Sie die Situation im Fricktal und in der Nordwestschweiz?

Hier spielen die Chemie und Pharma eine wichtige Rolle. Diese Branche ist auf einem guten Pfad. Das sorgt für viele Arbeitsstellen und eine hohe Wertschöpfung. Chemie und Pharma kamen auch durch den Frankenschock nicht in grössere Schwierigkeiten.

 

Wo sehen Sie in der Schweiz die Zukunftsbranchen?

In Bereich Digitalisierung hat die Schweiz grosses Potential. Die Forschung und die Ausbildung sind gut. Es gibt auch viele Firmen, die bereits hier aktiv sind. Es ist also vieles vorhanden, die Rahmenbedingungen sind gut. Es muss ein Ziel sein, dass die Schweiz hier vorne mitspielt. Die Digitalisierung ist in den nächsten Jahren sicher ein grosser Wachstumstreiber.

Sie beschäftigen sich auch mit den Auswirkungen von wirtschaftlichen Entwicklungen auf die Stabilität der Gesellschaft. Auf welchem Weg befinden wir uns?

Die Gefahr ist, dass durch die Globalisierung und durch Entwicklungen wie Automatisierung und Digitalisierung ein Teil der Arbeitnehmer abgehängt wird und die Einkommensunterschiede markant zunehmen. Es ist für eine Gesellschaft nie gut, wenn die Einkommen zu weit auseinanderklaffen. In der Schweiz schätze ich diese Gefahr aber als nicht sehr hoch ein.

Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Welche Erinnerungen haben Sie an Hellikon?

Durch die Vereine, aber auch durch das Mitarbeiten auf unserem Bauernhof fühlte ich mich stark zugehörig zu diesem Dorf. Die Pflege der Gemeinschaft ist etwas sehr Gutes, das habe ich in Hellikon gelernt. Ich gehe immer wieder gerne dorthin auf Besuch.


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