«Auf der Alp gibt es viel Arbeit, aber keinen Stress»

  16.11.2017 Kaiseraugst

Einen Kaiseraugster zieht es immer wieder in die Berge

Viele Jahrzehnte hat Paul Wachter in der Basler Chemie gearbeitet. Seit der ehemalige SP-Grossrat pensioniert ist, hilft er jeden Sommer während gut zwei Monaten auf einer Alp mit.

Valentin Zumsteg

«Im September bin ich jeweils froh, wenn Alpabfahrt ist und es nach Hause geht. Doch im Frühling spüre ich ein Reissen, dann freue ich mich, wenn die Alpzeit wieder beginnt», erklärt Paul Wachter mit einem Lachen. Der 72-Jährige sitzt am Esstisch in seinem Haus in Kaiseraugst – und er erzählt von seinen Erlebnissen auf der Alp Valtüsch (SG).

«Gut für die Gesundheit»
Acht bis zehn Wochen verbringt er jeden Sommer auf dieser Alp, die von einem Kollegen bewirtschaftet wird. «Ich glaube, das ist gut für die Gesundheit. Jedenfalls besser, als nur Zuhause rumzusitzen.» Die Alp liegt oberhalb von Weisstannen auf einer Höhe von rund 1800 Metern. Sie kann mit dem Auto nicht erreicht werden. «Der Aufstieg ist anstrengend. Ich in meinem Alter brauche gut zwei Stunden», erklärt Paul Wachter. Rund 50 Kühe, 150 Rinder und zirka 50 Kälber verbringen auf der Alp die Sommermonate. Sie werden von vier Leuten betreut. «Es ist eine Aufzuchtsalp. Käse stellen wir keinen her. Wir machen aber unsere eigene Butter – und manchmal auch Nidelmues.» Die Arbeitstage sind lang. Sie beginnen um 6 Uhr in der Früh und enden selten vor 20 Uhr. «Auf der Alp gibt es viel Arbeit, aber keinen Stress», betont Wachter. Jeden Abend wird der Alpsegen gerufen. Und nach dem Nachtessen gibt es meistens noch einen Jass.

In diesem Sommer hat es im August geschneit. Die Tiere mussten deswegen in den Stall und in einen Pferch gebracht werden. «Wir versorgten sie mit Heu, das von einem Helikopter gebracht worden war.» Die Alp Valtüsch gehört zu einem Schutzund Banngebiet, es darf dort nicht gejagt werden. «Deswegen gibt es viel Wild. Wir hatten diesen Sommer Dutzende von Hirschen vor dem Haus und wir sahen viele Steinböcke und Gämse. Das ist herrlich.» Paul Wachter geniesst die Zeit auf der Alp, auch wenn er seine Frau vermisst. «Man muss mit der Einsamkeit umgehen können.»

Höhepunkt der Sommersaison ist jeweils die Alpabfahrt Mitte September. Die Tiere werden mit Schellen und Blumen geschmückt. Viele Zuschauer verfolgen den traditionellen Umzug hinunter ins Tal. Das ist für Paul Wachter jedes Mal ein eindrückliches Erlebnis. Gerne zeigt er die Fotos, auf denen man ihn in Bauernkluft sieht.

«Die Landwirtschaft ist mir wichtig»
Paul Wachter kennt die bäuerliche Kultur seit Kindsbeinen. Aufgewachsen ist er in Mels, im St. Galler Oberland. Sieben Kinder waren sie zu Hause. Die Familie bewirtschaftete einen Bauernbetrieb mit acht Hektaren Land. «Meine Mutter ist 96 Jahre alt und lebt immer noch dort.» Als Jugendlicher verbrachte Paul Wachter zwei Jahre auf Bauernhöfen in der Romandie und im Tessin. In den 1960er Jahren kam er in die Nordwestschweiz und arbeitete als Maschinist beim Bau der Autobahn zwischen Augst und Hagnau. 1968 wechselte er in die Chemie: Ciba, Ciba-Geigy und Ciba-Spezialitätenchemie hiessen die Stationen. Er war im Bereich Transport und Logistik tätig, bildete Lehrlinge und Chauffeure aus. Daneben engagierte er sich in der Politik, sass ein paar Jahre für die SP im Aargauer Grossen Rat. Seit vielen Jahrzehnten wohnt er in Kaiseraugst. «Das Dorf ist mir zur Heimat geworden.» 2005 – mit 60 Jahren – wurde er frühpensioniert. Und seither hilft er seinem Kollegen jeden Sommer auf der Alp. «Damit hat sich ein Traum von mir erfüllt. Die Landwirtschaft ist mir wichtig. Ohne sie würden die Alpen verwildern.» Jetzt ist die Alpzeit für dieses Jahr vorbei. Aktiv bleibt Paul Wachter, der Vater von drei erwachsenen Kinder ist, trotzdem. «Ich fahre gerne Velo, treibe Gymnastik und lese viel.» Mit seiner Frau unternimmt er regelmässig grosse Reisen. Im vergangenen Jahr waren sie in Kuba. «Dort merkte ich wieder, wie gut es uns in der Schweiz geht.» Die Politik interessiert ihn weiterhin. Ab und zu schreibt er einen Leserbrief, meistens zu politischen Themen. Daneben ist er Präsident der Steuerkommission in Kaiseraugst und singt beim Kirchenchor mit.

Und wie sieht es im nächsten Jahr aus, geht es im Sommer wieder auf die Alp Valtüsch? Paul Wachter muss nicht lange überlegen: «Wenn es die Gesundheit zulässt, sicher.»


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