«Diese Offenheit ist bezeichnend für die Wölflinswiler»

  05.10.2017 Natur, Wölflinswil, Oberes Fricktal, Tradition

Von Gabi Reimann

Es ist ein kleines Paradies. Am Dorfrand von Wölflinswil an der Strasse Richtung Herznach. Bunte Blumen, sorgfältig angeordnete Gemüse-Beete, eine Schafweide und mitten drin der Bauernhof, wo sich junge Kätzchen scheinbar unbeschwert tummeln. Hier lebt Christine Müller mit ihrem Mann Paul. Die 65-Jährige schätzt die Ruhe abseits des Dorfes «auch wenn hin und wieder übermütige Auto- oder Motorradfahrer die Gunst der freien Strasse am Haus vorbei nutzen und ihre Motoren aufheulen lassen».

Hier, in diesem Paradies entstehen auch die Produkte, die Christine Müller jedes Jahr am Wölflinswiler Herbstmärt und jeden Samstag am Aarauer Stadtmarkt anbietet. «Ich verkaufe nur Produkte, die der Hof hergibt», erzählt die leidenschaftliche Marktfahrerin.

 

Von Wittnau nach Wölflinswil

Seit jeher hegt und pflegt Christine Müller den Garten, «d’Pflanzi», mit grosser Hingabe. «Ich wusste schon als kleines Mädchen, dass ich Gärtnerin lernen möchte.» Doch die Mutter hätte sie eher als Verkäuferin gesehen, weil diese dachte, die Familie könne sich die «teure Gartenberufsschule» für die Tochter nicht leisten. Erst als im Zuge der Berufswahl klar wurde, dass es möglich ist, eine «normale Berufslehre als Gärtnerin» zu absolvieren, willigte die Mutter ein.

Als das Ehepaar Müller 1972 mit dem ersten Kind in einer Mehrfamilienhaus-Wohnung in Wittnau lebte, der Mann seiner täglichen Arbeit nachging, kam es wie es schier kommen musste: die junge Frau langweilte sich. «Ich wollte unbedingt noch etwas tun», sagt sie. Und so begann Christine Müller bereits damals, an ihrem heutigen Paradies zu schaufeln. Sie bekam von den Schwiegereltern ein Stück Land neben deren Hof, bewirtschaftete dieses. Und pendelte täglich und bei jedem Wetter mit Kind zwischen der Wohnung in Wittnau und der Pflanzi in Wölflinswil. Damals, Anfang der Siebziger-Jahre. Im Herbst 1978 konnte das Paar den Hof von Paul Müllers Eltern übernehmen und fortan kam für Christine die landwirtschaftliche Arbeit hinzu. Sie hätten nie nur vom Hof gelebt, erzählt sie. Stets sei ihr Mann noch einer anderen beruflichen Tätigkeit nachgegangen und sie habe nebst dem grossen Garten das Vieh mitbewirtschaftet.

 

Für Wölflinswil bleibt Aarau leer

Die Familie wuchs und zum einen Kind kamen vier weitere hinzu. Inzwischen sind die vier Söhne und die Tochter alle ausgezogen, teilweise bereits selber Eltern. Geblieben sind der Garten und die ebenso grosse Leidenschaft, Gemüse – je nach saisonaler Verfügbarkeit –, Zwiebelzöpfe und Eier am wöchentlichen Markt in Aarau anzubieten.

«Nur einmal im Jahr bleibt mein Stand in Aarau leer», sagt Christine Müller schmunzelnd, «dann nämlich, wenn in Wölflinswil der Herbstmärt stattfindet». Sie ist seit jeher, «seit der Markt 1982 von mehreren Initianten rund um Peter Bircher gegründet wurde», dabei. «Die Offenheit und der Enthusiasmus, mit der die Idee damals begrüsst wurde, ist auch heute noch bezeichnend für das Wölflinswiler Volk». Sehr viele Frauen hätten spontan angeboten, mit zu machen. «Da wurde plötzlich bekannt, wer alles Konfitüre kocht, backt, bastelt, häkelt, näht, oder zuhause Socken strickt», erinnert sie sich. Weil sie bereits damals mehrjährige Erfahrungen vom Aarauer Stadtmarkt vorweisen konnte, sei sie stark in die Organisationstätigkeiten einbezogen worden. «In den ersten Jahren habe man jeweils am Sonntag nach dem Markt noch «einen Buurezmorge» organisiert. Darauf habe man aber bald verzichtet. «Schliesslich haben ja alle ihr frisches Brot und den Zopf am Vortag am Markt gekauft gehabt».

 

Tradition hat Bestand

Viel verändert habe sich der Wölflinswiler Herbstmärt über die Jahre nicht, sagt die inzwischen «offiziell» pensionierte Marktfahrerin. Und wird trotzdem nachdenklich, als sie ergänzt: «Nur die Gesichter… so manch ein Stammkunde kommt im einen Jahr plötzlich nicht mehr, weil ihn eine schlimme Krankheit ereilt hat oder er gar verstorben ist.» Ja, die Marktfahrer seien in der Tat eine ganz eigene Gemeinschaft: «Tief freundschaftlich verbunden und in friedlicher Konkurrenz zueinander.» Da unterscheide sich die Marktgemeinschaft in Wölflinswil kaum von jener in Aarau. Man helfe sich gegenseitig, wo man könne. «Hat einer mal seine Waage zuhause vergessen, teilt man sich eben die Waage mit dem Stand-Nachbarn.»

Auch wenn sie demnächst eine Woche lang Zwiebelzöpfe flechten muss, freut sich Christine Müller auf den Wölflinswiler Herbstmärt: «Es ist schön, dass sich auch über die Jahre noch Leute finden lassen, die den Anlass weiter organisieren und dafür sorgen, dass er seinen urtümlichen Charakter behält.» Der Herbstmärt lebe auch für die Heimweh-Wölflinswiler. «Er ist ein Treffpunkt für Jung und Alt, wo man gerne verweilt und die Zeit nutzt, sich miteinander zu unterhalten.» Dass der Anlass weit über die Dorfgrenzen hinaus bekannt ist, ist kein Geheimnis. Dass hingegen der Aarauer das Fricktaler Dorf im Benkental nicht per se als Brotaufstrich vermutet, ist unter anderem auch Christine Müller zu verdanken: «Zumindest meine Stammkunden in Aarau wissen, wo Wölflinswil liegt.»

_______

Der Wölflinswiler Herbstmärt findet am Samstag, 28. Oktober 2017, statt. Auf dem Dorfplatz bieten vorwiegend Dorfbewohner ab 10 Uhr ihre Produkte aus Haus, Hof, Garten oder Bastelwerkstatt an. Gusti Lenzin macht Rundfahrten mit der Kutsche und die Musikgesellschaft spielt. Märlitheater, Märtbeizli, Raclettestube und die Bar gehören wie immer dazu.


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote