Weil gewisse Dinge einfach zusammengehören

  22.04.2016 Kultur, Wölflinswil, Oberhof, Musik, Oberes Fricktal, Tradition

Von Ronny Wittenwiler

Seine Handorgel hatte ihn ein Leben lang begleitet. Doch seit jenem Unfall steht sie in einer Ecke. Werner Reimann erzählt davon, und wie er das tut, offenbart sich eine nachdenkliche Seite des Achtzigjährigen. Eine schwere Zeit sei es gewesen, «damals», vor elf Jahren. Der Unfall an der Holzspaltmaschine kostete ihn die vorderen Gelenke von Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand. «Nein», sagt Reimann, und man bekommt eine Vorstellung auch vom seelischen Schmerz, den der Unfall auslöste: «Nein, seither habe ich nie mehr Handorgel gespielt.» Fassungslosigkeit war eingetreten. Dass ihm das noch passieren würde auf die alten Tage, ausgerechnet ihm, dem Modellschreiner, der sich zuvor im Berufsleben all die Jahre tunlichst genau an jegliche Sicherheitsvorschriften gehalten hatte. «Auch das Klavierspiel ist nicht mehr dasselbe.» Nein, es hätte nicht diesen Unfall vor elf Jahren gebraucht, um heute eine Ahnung zu bekommen, wie sehr ihm das Musizieren schon ein Leben lang am Herzen liegt; denn je mehr sich das Gespräch alleine hin zur Musik bewegt, desto deutlicher zeigt sich jetzt auch eine durchaus schalkhafte, fröhliche Seite von Werner Reimann.

Überdimensioniert, ein Geschenk aus Metall, geschmiedete Handwerkskunst, hängt sie an der Wand im Wohnzimmer: eine riesige Stimmgabel. Darauf angesprochen, versetzt sie an diesem Morgen ihren Besitzer in positive Schwingung. Sie lässt ihn erzählen vom Gesang, vom Glück, sie lässt ihn erzählen auch vom Zusammenhalt unter Kameraden, und von schierer Treue. Es sucht wohl seinesgleichen: Werner Reimann ist seit fünfzig Jahren Dirigent vom Männerchor Oberhof-Wölflinswil. Es ist also irgendwie eine Art persönliche Liebesgeschichte; zur Musik im Allgemeinen, zum Männerchor im Besonderen, und natürlich sind Liebesgeschichten oft auch Leidensgeschichten: Auch der Männerchor Oberhof-Wölflinswil kann das Klagelied über Mitgliedermangel kaum mehr im Kanon singen, weil es bald zu wenig Männer sind. «Wir sind noch sechzehn», sagt Reimann. Kommentar überflüssig. Man kennt das Problem zu gut auch bei anderen Chören im Fricktal.

«Ich will nicht, dass dieser Verein stirbt»
Als Werner Reimann den Männerchor Oberhof übernimmt (1964), sind die Zeiten goldig, die Sänger zahlreich, nach der Vermählung mit dem Männerchor Wölflinswil (1969) gehören knapp fünfzig Männer dem Verein aktiv an, und Reimann, Laiendirigent und Notenleser «mehr schlecht als recht», leitet mit Herz, Leidenschaft, sage und schreibe 48 Jahre an einem Stück. «Jetzt isch denn öppe fertig», pflegt er heute zu sagen. Das war es schon einmal: fertig. Vor vier Jahren. Doch mit den Nachfolgern passte es finanziell und auch menschlich nicht ganz zusammen. Reimann sprang wieder ein, und so dirigiert er seine Mannen mittlerweile im fünfzigsten Jahr. «Ich will nicht, dass dieser Verein stirbt. Das kann mir nicht egal sein.» Dennoch: jetzt sei denn aber wirklich «öppe» fertig. Seine Frau lacht.

Kurz zuvor gefragt, ob Hanneli Reimann ihrem Mann denn gerne zuhöre beim Singen, kam vom Raum nebenan ein aufrichtiges, wenn nicht gar stolzes «jo, joo: notüürli!» Ob er schon erzählt habe, wie er früher auch Tanzmusik machte? Sie setzt sich neben ihn hin. «Also wenn ich störe, gehe ich wieder…» Sie streckt ihre Hand nach ihm aus, berührt ihn an der Schulter. Wie sie mit wenigen Worten diese ungekünstelt liebenswürdige Begeisterung für ihren Mann an den Tag legt; wie sie auf sein halbes Jahrhundert Männerchor zurück und wie sie mit dankbarem Klang in der Stimme auf das bisher gemeinsame Leben blickt, dann sagt: «Gäll. Mir heis eigentlich immer guet gha mitenand»; all das klingt im Zusammenhang mit diesem Portrait über Werner Reimann wie ein schönes Duett. Sie berührt ihn erneut an der Schulter, lächelt. 54 Jahre miteinander verheiratet – und im Gegensatz zum Engagement im Männerchor hört man keinen der beiden darüber sagen: «jetzt isch denn öppe fertig».

Offenbarung
Das Gespräch mit Werner Reimann am Tisch im Wohnzimmer neigt sich dem Ende entgegen. Hier in jenem Haus, in dem er zeitlebens gewohnt hat. Es ist sein Elternhaus. Einmal dieses Daheim verlassen müssen, sollte es die Gesundheit erfordern – der Gedanke daran fällt dem Achtzigjährigen schwer. «Ja, ja», grummelt er schon fast. «Das ist nicht mein liebstes Thema. Das schiebe ich immer raus.» Er schaut, den Kopf geneigt, von unten her hoch und meint schelmisch: «Wenn es mal nicht mehr geht, mache ich es wie die Indianer. Ich gehe in den Wald, setze mich hin und warte einfach aufs Sterben.» Seine Frau schaut zu ihm hinüber, schüttelt den Kopf und hält lachend ihre Hand an die Stirn. «Du. Dann komm ich aber mit! Das überlasse ich dir nicht alleine.» – «Bringst du mir dann das Zmorge in den Wald?» Jetzt lachen beide gemeinsam miteinander. Und so endet das Gespräch mit einer Offenbarung, die eben nicht bloss auf Werner Reimann und den Männerchor zutrifft: Tatsächlich. Gewisse Dinge gehören einfach wirklich zusammen.


Am Samstag, 23. April (19 Uhr) und am Sonntag, 24. April (17 Uhr) lädt der Männerchor Oberhof-Wölflinswil gemeinsam mit dem Projektchor zum Frühlingskonzert in die Kirche Wölflinswil – unter der Leitung von: Werner Reimann.


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