«Heute bist du aber richtig gut zwäg»

  18.03.2018 Persönlich

25 Jahre Senioren für Senioren Möhlin: Vereinspräsident Ruedi Hasler (69) im Gespräch

Im Vergleich zu früher scheinen Senioren heute auf der Überholspur unterwegs. Ohne dabei gleich ein Höllentempo anschlagen zu müssen. Ruedi Hasler über Seniorenpost mit sechzig, das neue Fünfzig und einen schnelleren Vierziger.

Ronny Wittenwiler

NFZ: Ruedi Hasler, wo standen Sie vor 25 Jahren bei der Gründung von Senioren für Senioren?
Ruedi Hasler:
Mitten im Berufsleben. Mit 45 dachte ich noch lange nicht an jenen Altersabschnitt. Das ist wohl generell so. Wir schreiben mittlerweile erst Personen ab 65 Jahre an. Als wir noch 60-Jährige für einen Beitritt kontaktierten, war das Echo gleich null.

Sie bekamen noch mit sechzig Jahren Post vom Verein?
Ja.

Papierkorb?
Natürlich (lacht). Auch dann bist du noch voll im Erwerbsleben und denkst: Dafür hast du doch keine Zeit.

Und nun sind Sie Präsident. Warum?
Das Leben ist ein Nehmen und Geben. Diese Überzeugung hat mich immer begleitet. Vielleicht ist man irgendwann selber froh um Unterstützung. Es wäre schade, müsste der Verein irgendwann seine Tätigkeit einstellen mangels Freiwilliger.

Würden Sie sich als Jungsenior bezeichnen?
Ja.

Wann folgt die Phase Senior?
Mit 75 vielleicht. Viele Menschen zwischen 65 und 75 Jahren haben noch genügend Energie und bewegen sich regelmässig.

Und danach?
Irgendwann lässt die Kraft nun mal nach. Es kommt die Zeit, in der du zunehmend auf Hilfe angewiesen bist. Die Frage ist, ob man bereit ist, diese anzunehmen.

Werden Sie es sein?
Das weiss ich nicht. Ich diskutiere oft mit älteren Personen. Ihnen fehlen Dinge, an denen sie Freude hatten und die sie nicht mehr tun können. Ich denke, man sollte sich dann an Dingen erfreuen, die noch möglich sind. Aber das ist wahrscheinlich nicht einfach. Sondern verdammt schwierig.

Sind Siebzigjährige heute anders unterwegs als vor dreissig Jahren?

Aber sicher. Die äussere Erscheinung, der Kleidungsstil. Damals galten doch Fünfzigjährige bereits als alt. Viele waren körperlich früh ein Wrack. Die Chauffeure im Brauereibetrieb etwa, die 50-Liter-Fässer herumschleppten: Das würde kein Mensch mehr machen. Heute gibt es Hilfsmittel. Medizin und Lebensumstände haben sich enorm entwickelt. Die Menschen leben länger, bleiben länger gesund und dadurch mobiler. Senioren sind unternehmungslustig, wollen etwas bewegen.

Und Sechzig ist das neue Fünfzig?
Mindestens. Als meine Frau knapp zwanzig war, kam sie einmal nach Hause und erzählte, was ihre Arbeitskollegin zum vierzigsten Geburtstag wünschte: Geld für Schmuck! Sie konnte es nicht fassen und sagte zu mir: «Jetzt stell dir vor, jetzt will sich die mit vierzig noch Schmuck kaufen!» (lacht).

Auf der Einladung zur Jubiläums-GV ist die Rede von «weitsichtigen Senioren», die vor 25 Jahren den Verein gründeten. Worin bestand diese Weitsicht?
Sie erkannten die Notwendigkeit einer Vermittlungsstelle. Sie waren treibende Kräfte in vielen Belangen, prägten Aufbau und Betrieb der Brockenstube, spielten eine aktive Rolle bei der Realisierung der Alterswohnungen. Das alles war sehr visionär. Im 2005 hatte «Senioren für Senioren» bereits 500 Mitglieder.

Welches sind für den Verein die Herausforderungen kommender Jahre?
Die Solidarität unter Senioren, aber auch unter Generationen allgemein, bleibt eine Herausforderung. Gerade die Nachbarschaftshilfe wird nicht mehr derart gelebt wie früher. Es gibt in der Schweiz Menschen, die sterben und liegen unbemerkt mehrere Tage in der Wohnung. Ich kann so etwas nicht verstehen. Wenn Solidarität, diese Freiwilligenarbeit, ausbleibt – wer soll dann dafür aufkommen?

Welches Bild haben Jugendliche von Senioren?
Das müssten Sie die Jugendlichen fragen. Wir organisierten einen Kurs über die Bedienung von Smartphones. Schüler besuchten Senioren zuhause, damit sie dann individuelle Schulungsprogramme erstellen konnten. Das war vor vier Jahren. Noch heute weiss ich von andauernden Kontakten zwischen einzelnen Jugendlichen und den Senioren. Ich denke, es ist ein gemeinsames Erleben. Jugendliche profitieren von der Erfahrung älterer Menschen.

Sind Sie in zehn Jahren noch Präsident?
Das kann ich heute nicht sagen. Wir im Vorstand werden alle miteinander alt, Mutationen haben überlegt und gestaffelt zu erfolgen und letztlich spielt auch die Gesundheit eine Rolle.

Wie alt wollen Sie werden?
Das lässt sich nicht in Jahren sagen. Natürlich willst du möglichst lange Grosskinder aufwachsen sehen. Geht es dir gut, kannst du hundert werden. Geht es dir gesundheitlich miserabel, kommt vielleicht der Moment, in dem du möglichst schnell sterben möchtest. Ob du dann auch kannst, ist eine andere Frage. Mehr als mit einer Zahl merkt man Alter stattdessen im direkten Vergleich.

Zum Beispiel?
Du bist mit dem Velo unterwegs und hast den Eindruck: «Hey, heute bist du aber richtig gut zwäg.» Und schon rauscht ein Vierzigjähriger vorbei und du denkst plötzlich: Gopferdeckel, es lässt schon langsam nach (lacht).

Dafür wird der Vierzigjährige dann vom Zwanzigjährigen überholt.
Ja, genau. So ist das. Darum: Festhalten und Freude haben an den Dingen, die noch gelingen.


Eine Stimme für ältere Generationen

Am 22. Februar 1993 wird Senioren für Senioren Möhlin (SfS) gegründet. «Die Rüstigen helfen den weniger Rüstigen», fasst Hasler die Kernaufgabe des Vereins zusammen, nennt Beispiele wie Garten- und Umgebungsarbeiten, Fahrdienste, Informatik-Unterstützung. 248 Einsätze mit über 325 Stunden waren es im 2017. Ausbauen möchte Hasler die Vermittlung, Helfende gebe es genügend, noch existierten allerdings Hemmschwellen, geht es darum, «fremde» Hilfe tatsächlich in Anspruch zu nehmen. Mit geselligen Anlässen fördert SfS soziale Kontakte: Vereinsreisen, Themenreferate, Mittagstisch, Grillnachmittag, Theatervorführung, Lesekreis. Montags und freitags treffen sich Mitglieder in der vereinseigenen Kaffeestube. SfS soll künftig noch stärker als Stimme für ältere Generationen verstanden werden. Hans Notz, Präsident der ersten Stunde, übergab 2015 das Amt an Ruedi Hasler. Per 31. Dezember 2017 zählte der Verein 515 Mitglieder. Für die Jubiläums-GV am Montag haben sich 230 Personen angemeldet. (rw)

www.sfs-moehlin.ch


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