Produzieren im Fricktal. Bestehen im Weltmarkt.

  13.11.2017 Aargau, Möhlin, Wirtschaft, Nordwestschweiz, Brennpunkt, Gewerbe, Unteres Fricktal

Von Ronny Wittenwiler

NFZ: Hans-Peter Rohrer, Sie als Unternehmer: Was verstehen Sie unter dem Begriff Innovation?
Hans-Peter Rohrer: Innovation bedeutet für mich, Marktbedürfnisse zu antizipieren und darauf zu reagieren.

Haben Sie ein konkretes Beispiel?
Wir sind derzeit mit einer neuen Technologie im Endspurt: Ein steriler Blister, der relativ kostengünstig mit dem Wirkstoff für eine Schluckimpfung befüllt wird. 20 Millionen solcher Blister wird eine Anlage jährlich produzieren. Drei solcher Anlagen sind geplant, Indien ist Abnehmer. Die Impfung enthält einen Wirkstoff gegen das Rotavirus, eine Durchfallerkrankung, woran laut Weltgesundheitsorganisation jährlich zwischen 300 000 und 500 000 Kleinkinder sterben.

Könnte Ihre Unternehmung von jedem beliebigen Ort der Schweiz aus operieren?
Theoretisch ja. Entscheidend für die Standortfrage sind aber qualifizierte Mitarbeiter und weitere Rahmenbedingungen wie Flughäfen oder Verkehrswege.

Demnach müssen die Rahmenbedingungen im Fricktal gut sein: Sie sind ja nicht grundlos hier angesiedelt?
Das ist natürlich historisch bedingt. Die Rohrer AG ist eine Fricktaler Unternehmung. Einen Vergleich mit anderen Regionen zu ziehen, fällt schwer. Doch punkto Rahmenbedingungen ist die Grenznähe zu Deutschland und Frankreich ein Standortvorteil, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Ein Unternehmen in der Innerschweiz hat diese Möglichkeit weniger.

Das Fricktal allein reicht nicht als Boden für gute Fachkräfte?
Definitiv nicht. Wir haben nach wie vor etwa fünfzig Prozent Grenzgänger und ich sehe kein Ende. Wir haben auch Leute aus Basel, die hier arbeiten. Deshalb ist für uns auch der Platz Basel, der Fachkräfte ausbildet, eine Quelle.

Grenznähe generell: Fluch oder Segen?
Ich halte es so in einer globalisierten Welt: Je weniger Grenzen, je näher am Puls des Geschehens, desto besser.

Vor knapp einem Jahr hat Ihr Unternehmen die Standorte Rheinfelden und Möhlin neu im Bata Park Möhlin zusammengelegt. Kam eine Verlegung ins Ausland nie infrage?
Nein. Wir sind überzeugt, dass die Schweizer Voraussetzungen in ihrer Gesamtheit nach wie vor vorteilhaft sind für das Unternehmen. Das zeigt sich etwa im Vergleich zu deutschen und französischen Unternehmen, die mit unvorteilhaften rechtlichen Bedingungen zu kämpfen haben.

Zum Beispiel?
Der Kündigungsschutz ist derart hoch angesetzt, dass es einer Unternehmung beinahe unmöglich ist, Arbeitsverhältnisse aufzulösen. Das wirkt sich letztlich auch als negativer Bumerang für Arbeitnehmer aus. Als Unternehmer muss ich mir so sehr gut überlegen, ob unter solchen Voraussetzungen eine Beschäftigung überhaupt erst Sinn macht.

Die Schweiz sehen Sie diesbezüglich als unternehmerfreundlich?
Ich würde es als wirtschaftsfreundlich bezeichnen. Und das kommt letztlich Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermassen zugute.

Gibt es Rahmenbedingungen, die für hiesige Unternehmen verbessert werden können?
Da sind wir noch am Suchen (lacht). Es gibt sicher immer Aspekte, die man optimieren kann. Vordergründig erkenne ich aber nichts, was ich als ganz schlecht bezeichnen würde. Und in erster Linie sind wir auf unser eigenes Tun fixiert.

Existiert auch eine moralische Verpflichtung, die Wertschöpfung im Fricktal zu belassen – also da, wo man verwurzelt ist?
Bedingt. In erster Linie muss ein Unternehmen überleben. Das ist die Maxime. Harter Preiskampf oder die Nähe zum Marktkunden können Unternehmen zu einer Verlagerung ins Ausland zwingen, um ein Überleben zu begünstigen. Wir aber verfolgen hier an unserem Standort mit unserem Unternehmen vielmehr eine sogenannte «Blue-Ocean-Strategie»: Wir wollen einzigartige Leistungen anbieten, die durch diese Einzigartigkeit sich vom Preiskampf und entsprechend vom Wettbewerb lösen. Eine solche Strategie muss die Schweizer Wirtschaft generell verfolgen: Dorthin gehen, wo niemand ist.

Was verstehen Sie als Unternehmer unter einem guten Arbeitgeber?
Ein guter Arbeitgeber schafft attraktive Arbeitsplätze. Und das nicht bloss aus reiner Güte. Der Fachkräftemangel erfordert, dass man ein attraktiver Arbeitgeber ist, um entsprechend unternehmerischen Erfolg zu haben.

Was ist für Sie ein guter Arbeitnehmer?
Einer, der eine gewisse Flexibilität zeigt, bereit ist, zu lernen, bereit ist, sich weiterzubilden und fähig, sich in eine bestehende Gemeinschaft einzupassen.

Die Bereitschaft, sich weiterzubilden setzt Motivation voraus. Inwiefern steht da der Arbeitgeber in der Pflicht?
Sehr. Er fördert seine Mitarbeitenden, gesteht ihnen Kompetenzen zu. Vertrauen und Wertschätzung sind wichtige Bestandteile für die Motivation, ebenso gegenseitige Kommunikation und eine hohe Professionalität im Umgang mit den Mitarbeitern. Ein guter Arbeitgeber lässt seine Mitarbeiter nicht hängen, sondern bedient sie mit Informationen, die sie brauchen. Von einem motivierten Mitarbeiter profitiert logischerweise die Unternehmung. Je kleiner ein Unternehmen, desto besser gelingt es, auf den Einzelnen einzugehen.

Was ist ein fairer Lohn?
Es geht auch hier um die Motivation: Der Lohn ist einer von vielen Bestandteilen der Wertschätzung, der die Motivation eines Mitarbeiters fördert. Ein Mitarbeiter soll nicht das Gefühl bekommen, er werde ausgenutzt. Der Lohn ist auch immer eine Frage der jeweiligen Branche. Beispielsweise im Bereich der Informatik beziehungsweise der Datenverarbeitung: Da sind gute Arbeitskräfte sehr rar, das treibt die Lohnspirale entsprechend in die Höhe.

Wirtschaftsstandort Aargau beziehungsweise Fricktal. Wo sind der Region Grenzen gesetzt?
Wir sind keine Tieflohnregion. Die Lebenskosten sind hoch in der Metroregion Basel. Eine Arbeit oder Dienstleistung, die im harten Wettbewerb zu europäischen Löhnen steht, hat es hier entsprechend schwer. Der hohe Lohn und die Lebenskosten muss man abwälzen können aufs Produkt. Gelingt das nicht, wird es schwierig, sich zu behaupten im knallharten internationalen Business, wo so vieles anderswo billig produziert wird. Dann muss man das Geschäftsmodell ändern – oder ins Ausland verlagern.

Triviale Frage zum Schluss: Eine gutbürgerliche Beiz im Fricktal. Was muss diese machen, um als innovativ zu gelten?
Auch wenn ich gerne etwas Gutes esse, ist das nicht mein Genre. Doch Innovation erfordert letztlich immer dasselbe: Ich muss mit einem Konzept, das eine gewisse Attraktivität beinhaltet, das eigentliche Zielpublikum erreichen – im vorliegenden Fall über das kulinarische Angebot, über die Preisgestaltung oder etwa über die Einrichtung. In unserer kurzlebigen Zeit bedeutet Innovation auch Anpassungsfähigkeit. Dabei schadet manchmal auch der Blick über die eigenen Grenzen nicht: Wo auf der Welt macht man gewisse Dinge ein wenig anders? Innovation bedeutet auch: Anders sein, als die anderen und dabei auch langfristig gut sein, in dem, was man macht. Für langfristigen Erfolg müssen sie in erster Linie ernst genommen werden. Das funktioniert nur, wenn Sie einen guten Job machen.


Die Rohrer AG
MÖHLIN. Die Rohrer AG, gegründet 1962, behauptet sich erfolgreich im weltweiten Markt der Verpackungsindustrie. Per 1. Januar 2017 hat die Unternehmung ihre beiden Standorte in Möhlin und Rheinfelden zusammengelegt. Neu ist die Firma mit sämtlichen Geschäftsfeldern im Bata Park Möhlin angesiedelt (die NFZ berichtete). Dort beschäftigt die Rohrer AG über siebzig Mitarbeitende, Tendenz steigend. Im Werkzeug- und später im Maschinenbau tätig, hat sich die Firma im Laufe der Jahre zu einem Hightech-Unternehmen entwickelt, vornehmlich im Bereich von Verpackungen für die Medizin- und Lebensmittelbranche. Oft stehen am Ende der Auftragskette Produkte beziehungsweise deren Verpackungen, die zum täglichen Leben gehören: Kaffeekapseln, Kaffeerahmbecher oder Blister (Tabletten- bzw. Medizinverpackungen). CEO der Unternehmung ist Hans-Peter Rohrer, Jahrgang 1955. Die Firma hat je eine Service-Niederlassung in Russland und in den USA. Produziert wird ausschliesslich in Möhlin. (rw)


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