Staatenloses Land zwischen den Grenzen

  23.08.2017 Gemeinden, Natur, Nordwestschweiz, Wittnau, Kultur, Oberes Fricktal

von Melanie Kägi

Die Schweiz ist ein Rechtsstaat. Grenzen sind klar definiert, Gesetze gelten überall im Land. Umso seltsamer ist es, dass es während Jahrhunderten ein Stück Land gab, welches im Grenzgebiet zwischen den Kantonen Aargau, Solothurn und Baselland lag, jedoch keinem dieser Kantone zugordnet war. Somit war es rechtlich gesehen auch kein Teil der Schweiz. Ein kleines Stücken Land, 63 Aren gross, das so viel Aufsehen mit sich zog. Der Historiker Michael Blatter hat die Geschichte des Wittnauer Heimatlosenplatzes untersucht.*

 

Was genau ist der «Heimatlosenplatz»?

Wie kann das sein – ein Stück Land, mitten in der Schweiz, und dennoch gehörte es nicht zur Eidgenossenschaft? Diese Parzelle war den Einheimischen als Vagantenplatz oder Heimatlosenplatz bekannt. Als Heimatlosenplatz wurden die 63 Aren auch in der eidgenössischen topografischen Karte von 1877 bezeichnet. Einen anderen Namen erhielt das Stück Land auf einem Plan mit den Kantonsgrenzen der Kantone Baselland und Solothurn: Dort wurde das kleine Dreieck mit «In der Freyheit» beschrieben.

 

Ein Gang durch die Geschichte

Seit 1900 versuchten die Kantone Baselland und Solothurn, die unklare Aufteilung des staatenlosen Landes zu bereinigen. Sie bemühten sich, mithilfe von lokalen Gewährspersonen, alten Urkunden, Plänen und Akten Klarheit zu gewinnen. Mehr oder weniger mit Erfolg. 1919 unternahm die Gemeinde Anwil einen weiteren Schritt zur Aufteilung. Der Gemeinderat bemerkte dabei: «Der Heimatlosenplatz wird nirgends besteuert, weil [er] keinem Kanton noch Gemeindebann zugetheilt ist.»

Der Kantonsgeometer von Baselland schlug eine Aufstellung der Grenzsteine vor, mit welcher der Heimatlosenplatz «gleichwohl bestehen bleiben» könnte. Und zwar solle der Heimatlosenplatz «im Interesse der Heimatkunde erhalten bleiben [...], als ein Andenken an die sogenannte Heimatlosenzeit, die eine Zeitlang als schwer zu lösendes Problem fast alle Kantone beschäftigt hat.» Der Idee, Grenzsteine als Bewahrung der Geschichte aufzustellen, wurde aber nicht nachgegangen.

An einer Konferenz 1929 einigten sich die umliegenden Gemeinden auf den Abtausch von Kantonsgebieten und das Festlegen der Kantonsgrenzen auf die Gemeindegrenzen. 27. Mai 1931 war das Land dann offiziell ein Teil der Schweiz. Im Vertragsentwurf vom November 1930 wurde dies wie folgt begründet: «Im Hinblick auf das eidg. Zivilgesetzbuch, wonach sämtlicher Grund und Boden vermessen und im Grundbuch eingetragen werden muss, geht es wohl nicht an, diese Besondertheit bestehen zu lassen. Aber auch vom Standpunkte der Rechtsordnung ist es notwendig, den jetzigen Zustand aufzuheben, um Komplikationen, die bei der Ausübung der Jagd oder beim Vorkommen eines Verbrechens auf dem Heimatlosenplatz eintreten können, zu vermeiden.»

 

Staatenloses Land im Rechtsstaat?

Seit wann der Heimatlosenplatz existiert, ist unbekannt. Nur wenige Quellen lassen Vermutungen aufkommen. Auf einem Basler Grenzplan aus dem Jahr 1620 sind beispielsweise die Basler Grenzen im fraglichen Gebiet festgehalten. Der Heimatlosenplatz ist darin nicht eigens eingetragen. Dies muss aber nicht bedeuten, dass er damals nicht existiert hatte. Erst aus dem Jahr 1822 findet sich ein eindeutiger Hinweis auf den Heimatlosenplatz. 1823 wurden  dessen Grenzen vermessen und der Versuch unternommen, das Gebiet aufzuteilen. Die angrenzenden Gemeinden Wittnau, Kienberg und Anwil konnten sich damals aber nicht einigen und ein Teilungsvertrag kam nicht zustande.

 

*Alle Informationen in diesem Artikel entstammen von Michael Blatters Aufsatz «Der Heimatlosenplatz – staatenloses Land zwischen den Grenzen», der 2007 in der Zeitschrift für Geschichte «Traverse» (2007/2) erschien.


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