Zwingli und Calvin unter Nazis

  23.07.2017 Kultur, Rheinfelden, Kunst, Unteres Fricktal

Von Boris Burkhardt

Sie zeigen mit dem Komponisten Johann Sebastian Bach, dem Theologen Philipp Melanchthon und dem Liederschreiber Paul Gerhardt wichtige Männer der Reformation; sie zeigen aber auch den umstrittenen deutschen Vormärzdichter Ernst Moritz Arndt, den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg und den Reichskanzler Otto von Bismarck, letzterer mit den markigen Worten «Wir Deutschen fürchten Gott, sonst nichts in der Welt». Die Kirchenfenster, auf denen diese Personen mit einem zugehörigen Spruch abgebildet sind, sprechen auch von ihrem Stil und den düsteren irdenen Farben eindeutig die Sprache des Deutschlands ihres Entstehungsjahres 1937. Zum 80. Geburtstag der evangelischen Christuskirche in Badisch-Rheinfelden am vergangenen Sonntag hat sie Pfarrer Joachim Kruse wieder aus den Umzugskartons geholt, in denen sie seit 1994 verstaut und aus dem Weg geräumt waren.

Erhalten geblieben sind hingegen zwei Fenster in der Sakristei, die im selben Stil Huldrych Zwingli und Johannes Calvin zeigen. Sie wurden 1937 von der reformierten Kirchgemeinde der Schwesterstadt Rheinfelden (Schweiz) gespendet. Der dortige Pfarrer Klaus-Christian Hirte berichtet, dass die reformierte Kirche in Rheinfelden (Schweiz) 1895 mit «erheblichen Spendenmitteln aus Deutschland» erbaut wurde: «Bis in die Dreissigerjahre kamen viele Deutsche regelmässig hierher zum Gottesdienst.» Es scheint sich bei den Fenstern also um eine kleine Revanche der Schweizer Glaubensbrüder gehandelt zu haben. Die Evangelische Landeskirche in Baden, die auch während des Nazi-Regimes fortbestand, ist heute wie damals keine lutherische Kirche wie die meisten evangelischen in Deutschland, sondern eine unierte, das heisst eine gemeinsame für Lutheraner und Reformierte.

Kruse, der vor zehn Jahren aus dem Norden Deutschlands nach Badisch Rheinfelden kam, legt Wert darauf, auch die Fenster Hindenburgs und Bismarcks als Zeitzeugen zugänglich zu machen, ohne damit eine rückwärtsgewandte Botschaft zu vermitteln. «Diese Fenster gehören zur Kulturgeschichte Rheinfeldens», sagt er. Er selbst habe sich zwei, drei Jahre an die düstere, harte und kantige Nazi-Ästhetik der Christuskirche gewöhnen müssen, als er 2007 seinen Dienst in Rheinfelden aufnahm. Auch die bestehenden Fenster im Schiff und die Mosaike an der Wand hinter dem Altar sind nicht nur in diesem Stil gehalten, sondern zeigen alle dargestellten Personen, insbesondere natürlich Jesus, ideologisch korrekt als grosse, kräftige, blonde und kantige Männer mit kurzen Haaren und gestutzten Bärten. «Wenn ich daran denke, welche alternativen Gestaltungsmöglichkeiten es mit Paul Klee oder Emil Nolde zu jener Zeit gegeben hätte…», sagt Kruse.

Als Kruse von der Existenz der Fenster erfuhr, sorgte er dafür, dass sie restauriert wurden und in neuen Holzrahmen dem Publikum präsentiert werden können. Insgesamt sind es acht Fenster; zwei sind mit Jesusworten beschrieben. Sie waren bis 1994 im rückwärtigen Gruppenraum der Kirche eingelassen; wurden dann aber entfernt. Offiziell, weil es im Raum zu dunkel war. Kruse vermutet, dass auch die Motive damit zu tun hatten. Seither waren sie laut Kruse hinter der Orgel verstaut. Die Restauration kostete rund 3000 Euro; das Geld kam mit Spenden zusammen, sogar aus Köln und Jersey City in den USA. 

Der Pfarrer weiss, dass die Kirchengemeinde 1937 erfolgreich beim Reichspropagandaministerium 300 000 Reichsmark für den Bau der Kirche beantragte. Er ist aber auch überzeugt, dass sich «versteckte» Nachrichten im Gebäude finden, die die wahre Haltung der Kirchenbauer gegenüber dem Nazi-Regime zeigen: So laute es auf einem der beiden ausgestellten Spruchfenster «Wer mich bekennt vor dem Menschen, den will ich bekennen vor meinem himmlischen Vater», auf einem der erhaltenen Fenster im Kirchenschiff «Trachtet als erstes nach dem Reich Gottes» – für Kruse eine eindeutige Aussage, wer für die Rheinfelder Protestanten damals die höchste Autorität war. Welches Verhältnis die Nazis 1937 in Rheinfelden zu den Schweizer Nachbarn hatten, lässt sich nicht genau sagen, da sich die Stimmung des Regimes von einer Hoffnung auf eine alemannische Wiedervereinigung unter der Hakenkreuzflagge hin zu grossem Misstrauen gegenüber den sturen Demokraten auf der anderen Rheinseite wandelte.


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