Museum statt Müllhalde

  01.10.2016 Gesehen, Kurioses

Von Boris Burkhardt

Agnes Thomann muss eine sehr besondere Frau sein. Sie bekam keine hysterischen Anfälle und sah ihre Ehe nicht gefährdet, als ihr Mann Erich begann, jeden Abend Müll nach Hause zu bringen und im Schopf und im alten Kuhstall zu lagern. Vielleicht lag es an der Sammelleidenschaft, die die ganze Familie Thomann im Griff zu haben scheint; vielleicht war sie auch so geduldig, weil ihr Mann den Müll zum Beruf hatte, nämlich als Leiter einer Deponie. Vielleicht lag es auch daran, dass aus dem abendlichen Müll, den ihr Mann heimbrachte, tatsächlich etwas sehr Einzigartiges wurde: das Müllmuseum in Badisch-Wallbach, das dieses Jahr sein 25-Jahre-Jubiläum feiert.

Agnes und Erich Thomann sind heute über 80 Jahre. Ihr Sohn Karl (50), selbst mehrfacher Vater, hat  nicht nur den väterlichen Job als Deponieleiter übernommen, sondern auch die Pflege und Leitung des kleinen Museums. Unter einer Mülldeponie dürfe man sich in den Siebzigern und Achtzigern, als sein Vater den Lachengraben bei Schwörstadt leitete, nicht eine heutige vorstellen, relativiert er die Entstehungsgeschichte des Museums. Denn vor dem Recycling-Zeitalter sei so ziemlich alles auf der Müllhalde gelandet, was man sich vorstellen könne.

 

Puppen, Autos, Eisenbahnen und noch vieles mehr

Aber das muss man nun gar nicht mehr selbst tun – es sich vorstellen. Denn geschätzte 15 000 Exemplare gibt es seit 1991 auf insgesamt 260 Quadratmetern im Wallbacher Müllmuseum zu sehen und bestaunen, sorgsam nach Themengebieten zusammengestellt und oft liebevoll arrangiert. Da sind die landwirtschaftlichen Geräte, die Erich Thomann als erstes mit heimnahm, in der Absicht, sie tatsächlich noch einmal zu verwenden. Mutter Agnes hat den zweiten Stock für ihre Puppen und Teddybären reserviert, die neben den anderen vielen Spielsachen wie Autos, Eisenbahnen und Zinnsoldaten hübsch hergerichtet sind. Sogar eine komplette Berglandschaft für die elektrische Eisenbahn hat Karl Thomann gebaut. Staubgewischt wird hier einmal in der Woche: «Alle Vierteljahre räumen wir eine Abteilung komplett aus, um sie zu reinigen.»

Es kann nicht wirklich überraschen, dass sich im Müllmuseum auch funktionsfähige Musikinstrumente wie ein Harmonium und eine komplette Schuhmacherwerkstatt finden. In der sogenannten «Heiligen Ecke» stellen Thomanns sogar ein katholisches Messgewand aus. «Es kam damals ein polnischer Pfarrer zu uns, der auf Besuch in der Gegend war und seines verloren hatte», erzählt Karl Thomann: «Aber es war nicht seines.» Seit einigen Jahren gibt es auch einen jährlich wechselnden Teil der Ausstellung, heuer „Gesundheit, Schönheit, Sport. Familie Thomann fuhr dafür extra in ein Sportmuseum nach Berlin, um sich inspirieren zu lassen. 

 

In der Nostalgie schwelgen

Man kann beim Besuch in diesem aussergewöhnlichen Museum nun sozialkritisch mit der Konsum- und Wegwerfgesellschaft hadern; oder man kann sich an der Kreativität der Thomanns erfreuen und die vielen kleinen Kostbarkeiten bewundern, die vor der Vernichtung bewahrt wurden. Oder man kann ganz einfach in Nostalgie schwelgen. Denn die ältesten Exponate gehen bis in die Zwanziger zurück, wenn beispielsweise Opas Speicher ausgemistet wurde. So zeigt Karl Thomann gerne ein Multifunktionsfitnessgerät aus Holz, das aus einer Zeit stammt, als auch Männer noch Badeanzüge trugen, mit dem man aber verblüffenderweise schon dieselben Übungen machen konnte wie im heutigen Hightech-Fitnessstudio.

 

Karl Thomann hat die Sammelleidenschaft seiner Eltern geerbt und eine tolerante Frau gefunden. Die besten Voraussetzungen, um das Museum weiterzuführen. Karl und seine vier Geschwister begleiteten Vater Erich bisweilen auf die Müllsuche: «Wir freuten uns immer über Spielsachen und waren kreative Bastler.» Dazu habe auch viel Näharbeit gehört, denn die Textilindustrie der Region schmiss ganze Fehlchargen in den Müll. Karl Thomanns persönliche Leidenschaft waren Radios. Seine ganze Wand im Schlafzimmer war voll davon. Heute stehen sie zimmerhoch in Regalen im obersten Stockwerk des Müllmuseums – daneben ein paar Monstren, die als Vorläufer der Handys gelten: diesen «Nationalen Autotelephonen» verdanken die «Natels» übrigens ihren Schweizer Namen.

Ärger mit Behörden hatten die Müllsammler übrigens nie – durchaus nicht selbstverständlich, schliesslich ist Müll auf einer Mülldeponie ja Eigentum des Betreibers der Deponie, in diesem Fall des Landratsamts Waldshut. «Solange wir kein Geld mit unserem Müll verdienen, ist alles in Ordnung», erklärt Karl Thomann. Im Gegenteil habe Vater Erich Thomann sogar die Verdienstmedaille in Silber der Stadt Bad Säckingen für sein Engagement erhalten.

 

Die Jungen staunen

Das Museum ist am Donnerstag- und Sonntag Nachmittag geöffnet; Besuche nach Vereinbarung sind immer möglich. Das nutzten vor allem Schulklassen gerne, erzählt Karl Thomann, die im Sommer fast täglich sowohl aus Deutschland wie aus der Schweiz kämen. 6000 Besucher in 250 Gruppen zählen Thomanns im Jahr: «Das Museum ist für Jung und Alt geeignet: Die Jungen staunen, weil sie viele Sachen gar nicht mehr kennen; und die Alten freuen sich, wenn sie Dinge wiedererkennen.»

 

Das Müllmuseum ist fast schon regelmässiger Gast in deutschen und schweizer Fernsehsendungen und schaffte es unter anderem ins Buch «Die 33 verblüffendsten Museen Deutschlands». 1998 baute Familie Thomann einen Anbau an den Museumsschopf, der nun einen Rundgang durchs Museum ermöglicht und Platz für eine kleine Wirtschaft bietet. Auch der Schweinestall und sogar die beiden Silos auf dem Hof wurden vor wenigen Jahren in Lager umfunktioniert: Sie sind bis zur Decke voll mit gefundenen und gesammelten Kostbarkeiten, die andere Müll nennen.


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