In einer Woche verreise ich für neun Monate nach Kambodscha

  22.05.2016 Eiken, Kolumne

Von Daniela Leimgruber

Meine Nervosität steigt, auch wenn ich bis heute noch nicht ganz realisiert habe, dass ich schon bald für sehr lange Zeit weg sein werde. Weg von meinem Freund, meiner Familie und weg von allen meinen Hobbys und Verpflichtungen. Es passiert mir immer mal wieder, dass ich verträumt an ein Ereignis im Sommer denke, das irgendwo in meinem Umfeld stattfinden wird und ich erst im zweiten Moment bemerke, dass ich dann gar nicht dabei sein werde. Denn dann werde ich als Volontärin in einem Hilfsprojekt in Kambodscha mitwirken.

 

Einjährige Ausbildung für Menschen mit Behinderung

In der Nähe der Hauptstadt Phnom Penh hat die Organisation «Jesuit Service Cambodia» im Jahr 1991 ein Ausbildungszentrum für Menschen mit Behinderung mit dem Namen «Banteay Prieb» ins Leben gerufen. Rund 120 Männer und Frauen im Alter von 18 bis 45 Jahre, welche durch Landminen oder Unfälle verletzt wurden respektive an Kinderlähmung erkrankt sind, leben und lernen zusammen vor Ort. Neben der Stärkung des Selbstvertrauens und der Förderung der Selbstbestimmung, haben die Studenten vor Ort die Chance, eine einjährige Ausbildung zu absolvieren. Bis heute haben über 2000 junge Kambodschaner mit Behinderungen diese Möglichkeit genutzt und eine Ausbildung absolviert. Das Zentrum bietet eine einjährige Ausbildung in den Bereichen Elektronik, Mechanik, Landwirtschaft, Nähen und Schuhmacherei, sowie eine sechsmonatige Ausbildung in der Mobiltelefon-Reparatur an. Zusätzlich werden den Studenten die Grundlagen von Hygiene und Menschenrechten näher gebracht.

Meine persönliche Aufgabe vor Ort wird voraussichtlich die Gestaltung des Freizeitprogramms sein; dies zusammen mit anderen Volontären, aus Südkorea, Frankreich und Australien.

 

Eindrücke aus Rio de Janeiro regen zum Nachdenken an

Die Idee, für längere Zeit in einem Hilfsprojekt im Ausland zu arbeiten, entstand im Sommer 2013. Zusammen mit rund 200 anderen Deutschschweizer Jugendlichen verbrachte ich anlässlich des Weltjugendtages zehn Tage in Rio de Janeiro. Die spirituellen Impulse zusammen mit über vier Millionen jungen Menschen aus der ganzen Welt sowie die Eindrücke aus den Armutsvierteln, den Favelas, in der Hauptstadt Brasiliens, regten mich zum Nachdenken an. Ich realisierte so stark wie nie zuvor, wie privilegiert ich aufgewachsen bin und wie glücklich ich mich schätzen darf. Zudem interessierte ich mich im Rahmen meines mittlerweile abgeschlossenen Studiums in Sozialer Arbeit immer mehr für die Rechte von Menschen mit Beeinträchtigungen. Beide Komponenten zusammen führten dazu, dass ich mich bei «Partage Voyage» – einer Art Schweizer Vermittlungszentrale für Einsätze in christlichen Hilfswerken – meldete und mich für einen solchen Einsatz bewarb.

 

Sprache als Herausforderung

Nun ist es also bald soweit – am letzen Sonntag im Mai geht’s los. Nach vierzehn Stunden Flug von Zürich über Doha (Katar) nach Phnom Penh werde ich am Flughafen in Kambodscha abgeholt und zum Campus gefahren. Ich bin gespannt, was mich vor Ort erwarten wird und wie ich mich einbringen kann. Ich hoffe, dass ich von meiner Ausbildung zur Sozialpädagogin profitieren und meine Erfahrungen in der Arbeit mit Menschen mit Beeinträchtigungen einbringen kann. Respekt habe ich vor der Sprache – dem Khmer. Zwar versuchte ich noch von der Schweiz aus, mir einige Worte beizubringen, jedoch fällt mir dies äusserst schwer. Die verwendeten Laute in der kambodschanischen Landessprache unterscheiden sich so sehr von unserer Muttersprache, dass jedes einzelne Wort für mich einen Zungenbrecher darstellt. Zum Glück kann ich mit den Leitern und den anderen Volontären vor Ort in Englisch kommunizieren und zur Not auch meine Arme und Beine zur Kommunikation einsetzen.

 

«Gezwitscher» aus Kambodscha

Einmal im Monat werde ich Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, aus Kambodscha «zuzwitschern» und Sie können in meiner Kolumne «Gezwitscher aus Kambodscha» lesen, welche Abendteuer ich im fernen Land erlebe. Die Kolumne ziert eine Friedenstaube – Teil des Logos von «Banteay Prieb», dem christlichen Hilfsprojekt in welchem ich mitwirken werde.

 

Gezwitscher aus Kambodscha - Abschied in Etappen

In einer Woche geht’s los. Ich bin für neun Monate weg – was packe ich da alles ein? Eine Packliste habe ich zwar erstellt, doch da gibt es vieles zu beachten. Zum einen ist das Volumen – ein Backpacker-Rucksack mit 70 Liter Fassungsvolumen sowie ein Tagesrucksack – beschränkt. Zum anderen möchte ich, die sowieso mit dem Stempel «reiche Schweizerin» auf der Stirn, die in eines der ärmsten Länder in Südostasien einreist, nicht zu protzig wirken. Das Handy bleibt zu Hause – darauf habe ich mich schon einmal beschränkt. Mit Laptop und Kamera bin ich genügend ausgestattet, um meine Liebsten in der Schweiz zu kontaktieren (und um natürlich die monatliche Kolumne in der NFZ zu schreiben). Auch für Gastgeschenke soll es noch Platz haben. Ui, ui, ui – das wird schwierig – aber irgendwie werde ich es dann schon hinkriegen.
Mehr Sorgen macht mir noch das Abschied nehmen. Neun Monate weg von meinem Freund, meinen Eltern, meinen beiden Schwestern und meinen Grosseltern – das wird mir mein Herz zerreissen. Heute schon schiessen mir Tränen in die Augen, wenn ich daran denke, mich von ihnen zu verabschieden. Um mir als emotionaler Mensch das Ganze etwas einfacher zu machen, habe ich mich für einen Abschied in Etappen entschieden. Von Freunden und Kollegen habe ich mich bereits verabschiedet – eine grosse Abschiedsparty gibt es trotz mehrfachem Wunsch nicht. Am nächsten Samstag dann die Verabschiedung von meiner Familie. Zum Flughafen bringt mich dann mein Freund. Phu – ich werde froh sein, wenn ich im Flugzeug sitze, mit einem emotionalen Chaos im Bauch und Tränen in den Augen werde ich dann vielleicht endlich realisieren, dass ich das Fricktal erst in neun Monaten wieder betreten werde.


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