«Wir werden in Bern schlichtweg nicht ernst genommen»

  19.11.2015 Aargau, Rheinfelden, Politik, Unteres Fricktal

Von Boris Burkhardt

Ein Viertel der anwesenden Gäste beim gemeinsamen Podium ihrer beiden Fricktaler Bezirksparteien im Rheinfelder «Schützen» hatte am Montag laut eigener Bekundung noch nicht gewählt. Für sie mochten die Positionen über Gesundheits- und Asylpolitik, über Bilaterale Verträge und AHV-Revision, über Sinn und Unsinn einer zweiten Gotthardröhre noch entscheidend sein.

Doch Moderator Jascha Schneider sagte gleich zu Beginn, dass er vielmehr die Persönlichkeit hinter den Politikern herausstellen wolle: «Ihre politischen Programme sind hinreichend bekannt.» So gab CVP-Nationalrätin Ruth Humbel zu, «manchmal mit Selbstzweifeln» in den Spiegel zu schauen: «Ich reflektiere viel. Aber wenn ich von etwas überzeugt bin, stehe ich dafür ein.» Zum Entspannen braucht die Christdemokratin Sport, Natur und ihren Rebberg. Als sie 2013 völlig unerwartet als Bankrätin der Aargauischen Kantonalbank abgewählt worden sei, sei sie zur Verarbeitung erstmal in den Urlaub nach Skandinavien gefahren, um zu laufen.

Philipp Müller, Schweizer FDP-Präsident und Nationalrat, wollte sich von Schneider nicht so recht vom Thema Politik abbringen lassen. «Ich habe ein Privatleben. Davon werde ich jetzt aber nicht erzählen», sagte er. Eitel und ehrgeizig sei er durchaus, gab er wenigstens zu, machte aber auch das wieder zu Eigenschaften der Politik: «Man darf nicht abheben. Als einfacher Nationalrat war ich froh, wenn ein Journalist mal ein Zitat von mir brachte. Als Parteipräsident wäre ich froh, ich würde einmal nicht eingeladen zu einer Veranstaltung.» Denn die Einladungen ergingen an den Parteipräsidenten, nicht an Philipp Müller.

Beim von ihm verursachten Verkehrsunfall im September und der anschließend diagnostizierten Schlafapnoe liess Müller hingegen einen tieferen Blick in seine Privatsphäre zu: «Das war der Tiefpunkt in meinem Leben. Ich denke jeden Tag daran.» Er sei froh, dass er nun in regem Kontakt mit der Familie der 17-jährigen Rollerfahrerin stehe: «Wir erleiden beide als Beifahrer nun das gleiche Trauma: Wir haben ständig das Gefühl, der Fahrer fahre viel zu schnell.»

Der Blick in den Spiegel

Moderator Jascha Schneider konfrontierte die beiden Politiker jedoch nicht nur mit dem Blick in den Spiegel und den Tiefpunkten ihres Lebens; er wollte in einer Art psychologischer Testreihe auch wissen, was ihnen zu verschiedenen anderen Personen einfalle. So bezeichnete Müller den Weltwoche-Chefredakteur und neuen SVP-Nationalrat Roger Köppel als «brillanten Kopf», der leider seine liberalen und weltoffenen Prinzipien aufgegeben habe, während Humbel an ihm «bewunderte», «dass er konsequent anderer Meinung ist». Einig waren sich die beiden, dass Christoph Blochers Abwahl ein Fehler gewesen sei: Nach seiner Abwahl habe sich die Schweizer Politik polarisiert.

Ähnlich polarisierend wirkt auf Müller offensichtlich immer noch Justizministerin Simonetta Sommaruga, die er in Fragen der Asylpolitik für beratungsresistent hält, weil sie die FDP-Vorschläge nie aufgreife. Humbels Hinweis, ob er dann nicht lieber selbst Bundesrat werden wolle, tat Müller jedoch mit einer halb-ernsten Handbewegung ab. Für den Vollblutpolitiker ist klar, dass sich der Kanton Aargau bisher viel zu schlecht im Parlament verkaufe: «Wir werden in Bern schlichtweg nicht ernst genommen.» Sein dringendstes Ziel als Ständerat wäre deshalb ein funktionierendes Netzwerk zur Lobby-Arbeit. Humbel fand es vor allem wichtig, «dass Ständeräte und Kantonsregierung an einem Strang ziehen». «Nur dann ist der Kanton stark.» Ihr liegen vor allem die Energiestrategie und der ÖV-Ausbau als Bundesthemen, die den Aargau betreffen, auf dem Herzen. 

Hansjörg Knecht war nicht anwesend

Der SVP-Ständeratskandidat für den Aargau, Hansjörg Knecht, war beim Podium nicht zugegen. Das war laut FDP-Bezirkspräsident Christoph von Büren seine eigene Entscheidung: «Wir haben alle drei Kandidaten eingeladen. Er teilte uns mit, er habe kein Interesse; es sei alles gesagt worden.» CVP-Kandidatin Ruth Humbel habe zuerst nur kommen wollen, wenn alle drei Kandidaten dabei wären, habe sich dann aber von Müller persönlich überzeugen lassen. 


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