Es drohte die Abrissbirne, dann ging einigen ein Licht auf

  03.05.2015 Brennpunkt, Möhlin, Kultur, Tradition, Unteres Fricktal

Brigitte Neeser erzählt davon: Wie Kinder hier beim Rundgang durchs Dorfmuseum schon mal jegliche Relation vergessen. «Wo ist hier der Fernseher? Hatten die hier denn keine Mikrowelle?» Tief sitzt dann der Schock in den Knochen.
Es ist nun mal so. Unfassbar, aber ja: Auch einen Induktionsherd hatten die armen Bauersleut\' von anno dazumal keinen. Hereinspaziert ins heutige Möhliner Museum und herzlich willkommen in der Vergangenheit.

Dieses Haus an der Bachstrasse 20
Brigitte Neeser ist erste Empfangsdame sozusagen, Tür- und Toröffnende für all die Interessierten, denn Neeser ist seit sechs Jahren Präsidentin vom Museumsverein Möhlin, in den Vorstand eingetreten war sie bereits 2006. Im Gespräch mit der NFZ sagt Neeser Dinge wie «ganz einfach lieb gewonnen» oder «den Ärmel komplett reingezogen.» Stets meint sie dabei dieses Haus mit den blühenden Blumen im Vorgarten, dieses Haus an der Bachstrasse 20, von dem viele heute noch meinen, es würde jemand da drin wohnen, aber das letztlich ist ein Irrglaube.
Dieses Haus ist ein Museum. Seit nun genau 30 Jahren. «Die Einwohner nennen mich liebevoll ‹Melihus›», steht auf der Webseite vom Museumsverein geschrieben. Fürwahr, könnte denn dieses Haus tatsächlich sprechen, es hätte so einiges zu erzählen. Zum Beispiel, dass sein Fortbestehen keineswegs selbstverständlich ist. Dieses ehemalige Bauernhaus nämlich, geschätzte 245 Jahre alt, 1791 erstmals kartographisch in Erscheinung getreten, das Original lagert beim Kanton, dieses kulturhistorische Denk-Mal von einem Bauernhaus hätte eigentlich dem Erdboden gleich gemacht werden sollen. Vor über dreissig Jahren wollte man dieses Haus verschwinden lassen, doch es tauchten Menschen auf. Menschen, denen ein Licht aufgegangen war mit einer grundlegenden Idee. Zu diesem Zeitpunkt war das einstige Bauernhaus im Besitz der Einwohnergemeinde (seit 1979) und schon lange wurde in Möhlin ein passendes Gebäude für ein Dorfmuseum gesucht (Museumskommission wurde bereits 1975 gegründet). Es kam an der Bachstrasse 20 also nicht zum Abbruch. Sondern zum Aufbruch.

Metamorphose
Neeser sitzt im Wohnzimmer am Tisch. Der steht nicht mehr ganz im Lot, wackelt ein wenig. Die Stühle knirschen manchmal, genauso wie der Zimmerboden beim drüber gehen. Oben an der Wohnzimmerdecke noch immer die originalen Stützbalken von anno 1770. Der Begriff der guten alten Stube könnte nirgendwo passender sein. Die Präsidentin hat drei Bundesordner dabei, darin aufbewahrt und beschriftet sind zig Bilder vom Dorf, über eintausend auf jeden Fall. Ein paar dieser Bilder dokumentieren die Metamorphose dieses Gebäudes. Man könnte es auch salopper formulieren: Nachdem vor über dreissig Jahren bekannt geworden war, dass hier in der Kurve ein Museum entstehen sollte, krempelten ein paar Unermüdliche die Ärmel hoch und räumten auf. Es folgten Umbauarbeiten ab 1980 und vier Jahre später nahm die Museumskommission die Einrichtung mit Gegenständen in Angriff. All diese freiwilligen Helfer polierten diese verstaubte Perle aus alter Zeit zu neuem kulturhistorischen Glanz.
Und dann, am 1. Juni 1985, öffnete das Dorfmuseum seine Tore zum allerersten Mal. Aufbruch statt Abbruch. Wer heute durch die Gänge schlendert, wandelt nicht nur durch Raum, sondern auch durch Zeit: Vorbei an Küche, eben ohne Mikrowelle dafür mit Holz-Herd, vorbei am Schlafgemach mit Hafen für nächtliche Sitzungen, vorbei an Frauenzimmer und Knechtenkammer, ohne digitales Fernsehen geschweige denn Internet, und irgendwo auf dem Rundgang trifft man auf den Schweinestall.

Aus dem Schatten treten
Gerade Schulkinder sollen künftig die Geschichte des eigenen Dorfes hier im Museum noch genauer unter die Lupe nehmen dürfen. Geplant sind deutlich mehr Führungen als bisher. Vielleicht ist das Vorhaben eines der Rezepte: Denn womöglich müsste der Museumsverein mit diesem Prunkstück etwas stärker aus dem Schatten treten und das Museum als Platz an der Sonne bewerben. Denn laut Neeser gibt es noch immer «Einwohner von Möhlin, die gar nicht wissen, dass hier drin ein Museum ist.» Noch stärker öffentlich machen, welche Vielfalt an Geschichten dieses Haus seinen hier lebenden Menschen erzählen kann – vielleicht würde das auch gerade dem Vorstand des Museumsvereins dienlich sein. Denn bloss noch vier Personen sind es, die im Vorstand mitwirken und so quasi als Kuratoren das Museum mit Themen und Inhalten beleben. Als der Museumsverein im September 1985 gegründet wurde, waren es immerhin deren neun Vorstandsmitglieder. «Es ist schwierig», kommentiert Neeser etwas nachdenklich diese Schattenseite des musealen Daseins, nutzt aber die Gunst der Stunde im Jubiläumsjahr: «Natürlich. Wir würden uns über neue, engagierte Vorstandsmitglieder riesig freuen.» Vielleicht wollten halt gerade die Jungen nicht so richtig mitziehen, schätzt Neeser. «Für die ist ein Sportverein populärer. Dem Begriff Museum haftet halt oft ein verstaubtes Image an.»
Und doch. Es lohnt sich der ganze Aufwand immer und immer wieder. So zumindest hört sich Brigitte Neeser an. Eben: «den Ärmel komplett reingezogen.» Oder: «ganz einfach lieb gewonnen.» Dieses Dorfmuseum, das «Melihus», mitten im Dorf, nimmt bei der Präsidentin längst eine zentrale Position ein.

Man steht jetzt gemeinsam in der Küche des Museums. Uralte Werkzeuge, Holz-Herd, primitive Einrichtungen. Dann erzählt Neeser nochmals. Von den Kindern. Nicht nur von denen, die sich übers Fehlen der Mikrowelle wundern. «Oft hören wir bei den Rundgängen von ausländischen Schulkindern, deren Eltern vom Krieg in Jugoslawien geflohen waren. Sie erzählen dann, dass ihre Grosseltern auch noch so leben würden.»


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